„Glühende Judenhasser“

ARISTOKRATIE Jutta Ditfurth untersucht den Pakt des Adels mit den Nazis – auch in der eigenen Familie

■ 62, Mitbegründerin der Grünen, Sozialwissenschaftlerin und Publizistin. Sehr positiv schrieb sie über ihre Urgroßmutter.

taz: Hat es Sie kalt erwischt, den eigenen Urgroßonkel als Antisemiten zu entdecken, Frau Ditfurth?

Jutta Ditfurth: Ich bin schon als Kind auf merkwürdig abfälliges Reden über Juden gestoßen. Wirklich überrascht hat mich jetzt: Unter 200 adligen Verwandten fand ich nur einen, der die Juden nicht hasste und die Weimarer Republik nicht zerstören wollte. Und der war in der Familie völlig ausgestoßen.

Wie geht man mit so einem Befund um?

Rational. Ich verarbeite, indem ich genau wissen will, wie so ein Mensch, der irgendwann auch ein unbefangenes Kind war, aufwächst. Welchen Anteil haben die Zeitumstände an seinem Denken und ab wann muss man ihm die Verantwortung zuschreiben, selber Entscheidungen getroffen zu haben?

Warum haben Sie gerade diesen Onkel als Beispiel für den Antisemitismus in der Aristokratie ausgesucht?

Börries von Münchhausen ist zwar die Hauptfigur, aber es kommen im Buch auch andere adlige Verwandte vor. Dass „Onkel Börries“ mal projüdische Balladen geschrieben hat, galt als Beweis für seine Anti-Nazihaltung. Irgendwas stimmte aber in den Familienerzählungen nicht. Richtig ist, er hat um 1900 einige projüdische Balladen geschrieben, weil er in den zionistischen Juden eine Art „Adel“ entdeckt zu haben glaubte. Wenige Jahre später bot er aber einem bekannten Antisemiten, Adolf Bartels, einen „Geheimbund“ an, um die Juden loszuwerden.

War der Antisemitismus in der Aristokratie ein anderer als im Rest der Gesellschaft?

Der Wahn des deutschen Adels, „blutrein“ also, niemals Juden oder Muslime oder Menschen anderer Hautfarbe zu heiraten, ist eine frühe und bis heute unterschätzte Quelle des „Rasse“-Antisemitismus der Nazis. Die Mehrheit des Adels war Bündnispartner erst der Völkischen, dann der Nazis.

Galten die nicht beim Adel als Emporkömmlinge?

Tja, das sind Märchen von heute, dass man sich mit dem „Nazi-Pöbel“ nicht eingelassen habe. Eine der erfolgreichsten Mythenproduzentinnen war Marion Gräfin Dönhoff, die Zeit-Herausgeberin. Die Mehrheit der adligen Attentäter vom 20. Juli 1944 waren glühende Judenhasser und Antidemokraten. Die NSDAP und die SS konnten sich von Anfang an vor adligen Unterstützern nicht retten!  INTERVIEW: GRÄ

Jutta Ditfurth liest um 20 Uhr im Polittbüro, Steindamm 45, aus ihrem Buch „Der Baron, die Juden und die Nazis“