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Archiv-Artikel

Verdacht auf Körperverletzung

VERKEHR Nach dem Wärmeschock in überhitzten ICE-Zügen ermittelt die Bundespolizei gegen Verantwortliche der Deutschen Bahn. Schule will auf Schadenersatz klagen

„Reisen darf nicht zum Gesundheitsrisiko werden“

PETER RAMSAUER, VERKEHRSMINISTER

VON RICHARD ROTHER UND JÖRG ZEIPELT

Nach dem Hitzeschock für Dutzende Passagiere am Wochenende ermittelt nun die Bundespolizei wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung gegen die Deutsch Bahn AG. Ein Sprecher der Bahnpolizei Münster sagte am Montag, wegen des Defekts der Klimaanlage in mehreren ICE-Zügen hätten am Samstag in Bielefeld rund 40 Menschen ärztlich behandelt werden müssen – die meisten wegen eines Kreislaufkollapses. Darunter waren auch mehrere Jugendliche, die auf der Rückreise von einer Berlin-Klassenfahrt waren. Ihre Schule, die Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid, will nun Schadenersatz von der Deutschen Bahn fordern. Die Bahn habe den Vertrag auf Beförderung der Schüler nicht erfüllt, sagte Schulleiterin Brigitte Borgstedt. „Die Beförderung endete im Desaster, und das nicht nur einmal.“

Diese Erfahrung haben auch andere Bahnkunden gemacht, die in den betroffenen Zügen unterwegs war. „Ich war völlig fertig“, sagte eine Augenzeugin der taz. „Schon im ersten Zug von Berlin nach Hannover war es unerträglich heiß.“ Als sie sich bei einem Schaffner beschwert habe, habe dieser geantwortet, sie solle sich nicht so haben, da es in anderen Abteilen noch heißer als in ihrem sei. In Hannover sei dieser Zug dann aus dem Verkehr gezogen worden. Allerdings sei der Ersatzzug ebenfalls so heiß gewesen, dass sich die Fahrgäste geweigert hätten einzusteigen. Bei über 38 Grad funktionierten die Klimaanlagen generell nicht mehr, habe ein Bahnmitarbeiter achselzuckend bemerkt, sagte die Augenzeugin. Weiter sei es dann mit dem ICE nach Bielefeld gegangen. Dieser Zug sei völlig überfüllt gewesen, berichtet die Reisende. Auf dem Bahnhof in Bielefeld habe dann Chaos geherrscht. Immerhin hätten sich die Bahnmitarbeiter bemüht, den Verletzten zu helfen.

Nach Aussage eines Bahn-Sprechers gab es über die drei Totalausfälle der Klimaanlage am Samstag hinaus in weiteren Zügen in einzelnen Waggons einen Ausfall der Klimaanlage. Wie viele weitere Züge betroffen gewesen seien, könne er aber nicht sagen, so der Sprecher. Inzwischen erhielten die Zugchefs und Zugbegleiter die verbindliche Anweisung, bei einem Totalausfall der Klimaanlage den Zug am nächstmöglichen Bahnhof zu stoppen. Bei einem Teilausfall liege es im Ermessen des Zugchefs, ob der Zug weiterfahren könne.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kritisierte die Bahn am Montag. „Ich erwarte von der Deutschen Bahn, dass die Züge bei minus 40 Grad genauso zuverlässig fahren wie bei plus 40 Grad“, sagte Ramsauer. „Reisen muss komfortabel sein und darf nicht zum Gesundheitsrisiko werden.“ Allerdings dürfe man die Vorfälle vom Wochenende auch nicht zu einer „nationalen Tragödie hochstilisieren“. Das Ministerium sei mit der Bahn, der Bahnindustrie und der Bahnaufsicht im Gespräch mit dem Ziel, die technischen Probleme bei der Herstellung und Auslieferung von Zügen zu beseitigen.

Kritik an der Bahn äußerte auch der Fahrgastverband Pro Bahn. „In vielen verspäteten oder überlasteten Zügen verkriecht sich das Personal“, sagte Rainer Engel vom Fahrgastverband. „Das liegt unter anderem daran, dass die Zugbegleiter damit beschäftigt sind, mit Leitstellen zu telefonieren, um etwas entscheiden oder die Fahrgäste informieren zu können.“ Die Leitstelle sei aber gerade in Krisenzeiten überlastet. „Viele Zug- und Lokführer haben es daher schon aufgegeben, eigenverantwortlich zu handeln und fahren nach Fahrplan, solange die Signale es erlauben.“

Der Ausfall der Klimaanlagen habe sich seit Tagen angedeutet, sagte Engel. Bereits seit Beginn der Hitzewelle seien Klimaanlagen in ICE-Zügen zwischen Berlin, Köln und Düsseldorf ausgefallen. „In diesem ICE-Typ schaltet die Klimaanlage bei Überlastung einfach ganz ab, statt wenigstens die Luftzirkulation aufrechtzuerhalten. Das ist ein technischer Systemfehler“, sagte Engel. Zudem seien die Werkstätten der Bahn überlastet.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) kritisierte mangelnde Reserven. „Wenn es technische Problem gibt, sind keine Ersatzzüge vorhanden“, sagte VCD-Sprecherin Anna Fehmel. „Die Zugbegleiter sollten Nachschulungen darin erhalten, wie sie auf Krisensituationen besser reagieren können.“ In einigen Fällen klappe das schon ganz gut. „Es gab gestern auch Züge, in denen das Personal kalte Getränke an die Passagiere verteilt hat“, sagte Fehmel.