: Medienlenker ohne Richtung
VON STEFFEN GRIMBERG
Es war spät geworden am Abend des 23. Mai: Das Kölner Medienforum, das auf Wunsch der Landesregierung wieder zum wichtigsten Branchentreff in Deutschland werden sollte, tanzte ausgelassen bei der „AOL Media Night“ im alten Speicher am Rhein. Als Medien-Staatssekretär Thomas Kemper am nächsten Morgen punkt 9.15 Uhr seine Rede zur Eröffnung des Internet-Gipfels halten wollte, verloren sich gerade mal 30 Leute im Saal. Fast alle gehörten zur NRW-Staatskanzlei oder zur Landesmedienanstalt NRW. Doch Kemper, auch am verhältnismäßig frühen Morgen an der unvermeidlichen Pfeife nuckelnd, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: Das ginge schon in Ordnung mit dem frühen Termin, außerdem könne man ja warten, sprach Kemper. Und ging Kaffee trinken.
Auch wenn derlei Gleichmut Respekt abnötigt – wirklich angekommen in der Langschläferbranche der Medien und Kreativberufe ist Kemper, der am Mittwoch von Jürgen Rüttgers abberufen wurde, eigentlich nie. Mitgefeiert hat er dagegen gern, zu vorgerückter Stunde haute der Bach-Liebhaber schon mal selbst in die Tasten und gab alles andere als das Wohltemperierte Klavier.
Doch der anfängliche Respekt, der dem im Hochsauerland geborene ehemalige Lehrer zunächst entgegengebracht wurde, weil der sich wie ein Berserker ins Detailgespräch mit den Praktikern stürzte, hielt nicht lange vor. Schon bald nach dem Amtsantritt vor rund einem Jahr ging die Branche auf Distanz zum formalen NRW-Medienlenker, der nebenbei noch den Posten des Regierungssprechers am Bein hatte. Anfangs hieß es bei Freund und Feind, „der Kemper ist ein unglaublich guter Zuhörer“. Doch heute lästern viele, Kemper habe über ein Jahr lang „wie ein Schwamm“ alles in sich aufgesogen – aber nichts bewegt.
Dünne Bilanz
Ausgerechnet der für die zwischen Rhein und Ruhr so wichtige Medien- und Kommunikationsindustrie zuständige Mann erwies sich als kommunikativer Rohrkrepierer – und blieb viel zu oft stumm. Thomas Kemper sei „vor allem Sauerland, Wandern, Walter Benjamin, Pfeife schmökern, Kunst“ stichelte die Kölner Stadtrevue gegen den 54-Jährigen, der bei einem Fachgespräch im Deutschlandfunk schon mal zugeben musste, dass ihm nicht so ganz klar war, dass es neben dem Landesmediengesetz in NRW auch noch ein Landespressegesetz gibt. Forsch hatte Kemper bei dieser Runde im Januar 2006 noch angekündigt, alle Medieninstitute des Landes müssten auf den Prüfstand, man müsse „sich von der Vorstellung verabschieden, man könne die Fördergießkanne über die Medienbranche schwenken“, gab Kemper markig zu Protokoll.
Doch dann passierte wieder einmal wenig. Ja, der Medienetat der Staatskanzlei wurde empfindlich gekürzt, um 25 Prozent von 28,2 Millionen Euro (2005) auf 21,2 Millionen Euro in diesem Jahr. „Aber konstruktive Medienpolitik sieht anders aus“, sagt der Kölner Medienberater Lutz Hachmeister. Denn es gibt zwar wohlfeile Ankündigungen von Ministerpräsident Rüttgers (CDU), der NRW wieder zum führenden Medienstandort in Deutschland machen will, aber eben keine Konzepte.
Das Bisschen an offizieller Bilanz nach einem Jahr Kemper ist aber nicht nur dünn, sondern ging in den meisten Fällen auch noch nach hinten los. Als sich im Intrigenstadl der NRW-Staatskanzlei Rüttgers Planungschef Boris Berger und der Chef vom Dienst im Landespresseamt, Norbert Ness, verhakten, diverse vertrauliche Papiere an Focus, Welt und andere Medien gelangten, erklärte Kemper im Hauptausschuss des Landtages treuherzig, er kenne die Papiere gar nicht, erinnert sich ein SPD-Abgeordneter. Solch sauerländische Gradlinigkeit sei zwar „ganz sympathisch, aber für einen Regierungssprecher geht das nicht“.
Rüttgers habe sich, „drastisch formuliert, verarscht gefühlt“, sagt ein Insider, aber noch monatelang die notwendigen Konsequenzen gescheut. Auch wenn viele heute ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass die Kemper aufgegebene Doppelrolle von Regierungssprecher und Medienstaatssekretär ohnehin nur schwer zu bewältigen sei, bleibt ein merkwürdiges Missverhältnis: Die einen sagen, Kemper habe nun mal als Regierungssprecher so viel zu tun gehabt und daher die Medien vernachlässigen müssen. Doch umgekehrt wird berichtet, der Regierungssprecher habe sich manchen Rüffel aus Rüttgers Umfeld gefangen, weil er sich so sehr den Medien verschrieb.
Strippen ziehen beim WDR
„Kemper ist ein Chamäleon“, heißt es in Düsseldorf. „Wir haben lange gerätselt: Ist er vielleicht so schlau, dass wir ihn nicht mehr verstehen“, sagt ein SPD-Landtagspolitiker. Doch dagegen sprachen immer wieder dicke Patzer. Beim Eröffnungspodium des diesjährigen Medienforums lobte Kemper plötzlich die Medienvielfalt in Berlusconis Italien und musste sich konsternierte Nachfragen von Moderatorin Sandra Maischberger gefallen lassen.
Auch in Sachen Filmförderung hinterlässt Kemper Spuren. Er wollte die Mittelvergabe bei der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen stark daran knüpfen, ob das Geld auch wirklich NRW-Produktionsfirmen zu Gute komme. Filmstiftungs-Chef Michael Schmidt-Ospach spricht bis heute höflich von einem „Sachgegensatz zwischen Kemper und mir“ und meint damit, dass die Idee kompletter Unsinn ist. Denn die Produktionslandschaft ist bei Film wie Fensehen ganz anders aufgestellt. Rund 320.000 Menschen seien in dieser Branche NRW-weit in Lohn und Brot, „aber die sind doch nicht alle bei NRW-Firmen angestellt“, sagt Schmidt-Ospach.
Das sah zuletzt wohl auch Ministerpräsident Rüttgers so. Er überschlug sich im Mai bei der Premiere von „Klimt“ mit Lob für die Arbeit der Filmstiftung, die den Streifen über den Wiener Jugendstil-Maler mit finanziert hatte. Doch der ist eine überwiegend österreichische Produktion, die nach Kempers neuen Spielregeln gar nicht von NRW gefördert werden dürfte.
Zum endgültigen Fanal aber ist Kemper, der bei aller Überlastung immer noch reichlich Zeit für sein ehrenamtliches Engagement beim Kulturverein von Schmallenberg im heimischen Sauerland fand, wohl der Versuch geworden, beim WDR seine Strippen zu ziehen. Hier hatte eine Gruppe von Rundfunkräten versucht, den amtierenden Intendanten Fritz Pleitgen (68) für eine weitere Amtszeit zu gewinnen – gegen den erklärten Widerstand von Pleitgens Parteifreunden in der SPD. Kemper habe hier Mehrheiten organisieren wollen und sei sich seiner Sache zu sicher gewesen, heißt es in Köln. Schon vor der WDR-Rundfunkratssitzung im Mai habe er im kleinen Kreis „die Sache“ verkündet – die sich anderntags dann prompt im Kölner Stadt-Anzeiger wieder fand.
Dankeswort von Pleitgen
Dabei offenbart dieser Einsatz beim staatsfernen Rundfunk – bei dem Kemper weder als Regierungssprecher noch als Medienstaatssekretär etwas zu suchen hatte – die Tragik der „serviceorientierten Kampfmaschine“ (Kemper über Kemper). Denn es ging ihm hier wohl wirklich nicht um Parteiproporz; schließlich ist Pleitgen SPD-Mitglied. „Man sollte weder jemanden in eine bestimmte Position wählen, nur weil er einer bestimmten Partei angehört. Noch sollte man ihn (....) deswegen ablehnen“, hatte Kemper bei der Einführung der neuen Vorsitzenden der Medienkommission der Landesanstalt für Medien, Frauke Gerlach, gesagt. Gerlach kommt von den Grünen, und ihm komme es „vor allem auf die Qualifikation eines Menschen an“, sprach der Medienstaatssekretär.
Immerhin einer hat sich daher auch artig bei ihm bedankt: „Thomas Kemper hat in der Kürze seiner Amtszeit sehr viel angestoßen. Er hat dabei ein sehr gutes Verständnis für das duale System und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gezeigt“, ließ Fritz Pleitgen zwei Stunden nach Bekanntwerden von Kempers Abtritt per offizieller WDR-Pressemeldung verbreiten. „Seine Gradlinigkeit machte ihn für uns zu einem verlässlichen Partner.“
Mit eben dieser Gradlinigkeit hatte sich Kemper an jenem Mai-Mittwoch in Köln dann auch irgendwann an seine „Keynote“ zum Internetgipfel gemacht. Inhaltlich mit wieder nicht eben Bahn brechenden Erkenntnissen: „Das Internet gewinnt im privaten wie beruflichen Bereich zunehmend Einfluss“, sprach der Staatssekretär. Um nach noch ein paar Platitüden beinahe wie der andere große sauerländische Redner und Bundespräsident Heinrich Lübke zu enden: „Mit all diesen Themen wird sich der Internet-Gipfel heute vor allem beschäftigen. Davon möchte ich Sie nun nicht länger abhalten.“