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Archiv-Artikel

Senatorin redet sich in Fahrt

Während der Fußball-WM lassen viele Berliner das Auto in der Garage, freut sich Verkehrssenatorin Junge-Reyer. Der Fahrradverkehr steigt um ein Viertel. Zudem lobt sie BVG, S-Bahn – und sich selbst

VON ULRICH SCHULTE

Es war ein perfekter Tag für die Verkehrssenatorin. Im „Gute-Nachrichten-pro-Stunde-Verkünden“ dürfte Ingeborg Junge-Reyer (SPD) gestern einen Rekord aufgestellt haben, ihr Resümee der WM geriet zu einer umfassenden Lobhudelei auf die Verkehrsakteure Berlins – einschließlich sich selbst. „Das Auto blieb zu Hause“, sagte sie freudig. „U- und S-Bahn, Busse und in erfreulichem Maß auch das Fahrrad waren das Mittel der Wahl, um die Innenstadt zu erreichen.“

Vor der WM hatte der Senat eigens eine Imagekampagne gestartet. Deren optimistischer Name „Berlin steigt um“ scheint im Nachhinein gerechtfertigt – die Erfolgszahlen lieferte die Senatorin gleich mit: Der Autoverkehr ging nach Berechnungen der Verkehrsverwaltung in der City um 5 Prozent zurück, dafür stieg der Fahrradverkehr um beachtliche 25 Prozent an. An Spieltagen erledigten die Berliner und Touristen 90 Prozent der Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr – und nur 10 Prozent mit dem Auto. „Der Appell, das eigene Auto stehen zu lassen, wurde beherzigt“, so Junge-Reyer. Der Weg zur Fahrradstadt ist also ganz leicht: An 365 Tagen im Jahr ein Riesenevent organisieren, und schon sirren die Radreifen.

Doch die große Frage ist, ob die BerlinerInnen auch nach dem Sportereignis sportlich bleiben. Der Psychologe Malte Mienert bezweifelt, dass die WM längerfristige Lerneffekte bewirkt. Er prophezeit, dass die meisten ihr liebstes Familienmitglied wieder aus der Garage holen, sobald die Stadt leerer wird: „Die Bindung der Menschen ans Auto ist zu stark.“ (Siehe Interview.) Martin Schlegel, der Verkehrsfachmann des Naturschutzverbandes BUND, ist optimistischer. „Bestimmt haben einige entdeckt, dass sich gerade kurze Strecken mit dem Rad schneller zurücklegen lassen.“

Die vier bewachten Gratisparkplätze für Fahrräder, die der Senat zum Beispiel am Olympiastadion einrichtete, haben sich bewährt. Die Auslastung lag an Spieltagen bei 67 Prozent. „Der Bedarf ist bei Großveranstaltungen da“, sagt Schlegel. Bei künftigen Ereignissen müssten Veranstalter die Abschließplätze mitdenken. „Das Laternenparken stößt einfach an seine Grenzen.“ Der Senat sieht das genauso. Er schenkt die mobilen Ständer den Bezirken – verbunden mit der deutlichen Bitte, sie bei der nächsten Veranstaltung aus dem Lager zu holen. Das Verkehrskonzept für die WM hat das Land 1,8 Millionen Euro gekostet. Der Großteil wurde in neue Ampelprogramme und verbesserte Instrumente zur Verkehrserhebung gesteckt.

Auch BVG und S-Bahn trugen wesentlich zur massenhaften Fanverschiebung bei. Teilweise fuhren U- und S-Bahnen alle zweieinhalb Minuten. Rund 7 Millionen zusätzliche Fahrgäste während der Fußballwochen meldet die S-Bahn stolz, die BVG rechnet bis zum Finalspiel am Sonntag mit rund 5 Millionen Zusatzkunden. Bis zu 95 Prozent der Besucher fuhren mit Bus und Bahn zum Stadion. „Dieser Wert liegt weit über den Zahlen der anderen Austragungsstädte“, so Junge-Reyer.

Die WM hat nicht nur Hirne und Herzen der Verkehrsprofis gefüllt, sondern auch einen bis dato leeren Ort. Weil sich überirdisch die Fanmeile breit macht, werden plötzlich im Tiergartentunnel vermehrt Autos gesichtet. Derzeit seien es 41.000 am Tag, so die Verkehrsverwaltung – vor der WM waren es nur 28.000. Für die Zukunft hofft die Behörde auf 50.000 tägliche Tunnelfahrer.