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Archiv-Artikel

Stillen ist doch ganz einfach

Eine internationale Studie zeigt: In Deutschland wird zu wenig gestillt. Nur jede zehnte Mutter stillt ihren Nachwuchs mindestens sechs Monate. Besonders das medizinische Personal benötigt noch Weiterbildung zum Thema Stillen

„Ärzte kümmern sich einfach nicht um das Thema“

VON KATHRIN BURGER

„Stillen ist das Beste für Ihr Baby“ – was die mütterliche Intuition weiß, prangt heutzutage auch auf jeder Ersatzmilch-Packung, schreibt jeder Ratgeber, jede Frauenzeitschrift. Doch Wissen allein scheint nicht zu genügen. Denn die Stillrate liegt in Deutschland nach der Geburt zwar bei 90 Prozent. Nach vier Monaten haben aber zwei Drittel der Mütter ganz oder teilweise abgestillt. Nur jede zehnte Frau stillt sechs Monate ausschließlich, wie es Mediziner empfehlen. Obwohl das mehr ist als noch vor 30 Jahren und wir damit immerhin im europäischen Mittelfeld liegen, sind Still-Experten nicht zufrieden. Das Ziel der Nationalen Stillkommission (NSK) lautet: Norwegens fantastische Stillraten von 80 Prozent im sechsten Monat zu erreichen.

Dabei ist Stillen doch einfach – Bluse auf, Brust raus, Baby andocken, fertig! – und billig, so die landläufige Meinung. Dass dem nicht immer so ist, haben die Autoren der 1997/98 durchgeführten SuSe-Studie herausgefunden. Stillprobleme sind zum Großteil (zu 60 Prozent) für die niedrige Stillrate verantwortlich.

Dazu zählen wunde Brustwarzen, Milchstau und Brustentzündung. Oft wird auch abgestillt, wenn Mütter allein erziehend sind, zurück in den Job wollen oder Mehrlinge versorgen müssen. Doch in der Vorbeugung und Behandlung von Stillproblemen hapert es gewaltig, beklagen Still-Expertinnen.

1993 wurde zwar auch in Deutschland die Initiative der stillfreundlichen Krankenhäuser (BFHI) ins Leben gerufen und trägt zur steigenden Stillrate bei. „Die BFHI hat sich bei uns überall da bewährt, wo stillen als exotisch angesehen wurde oder wo man kein geschultes Personal hatte“, resümiert Hildegard Przyrembel, Vorsitzende der NSK. So darf in einem babyfreundlichen Krankenhaus nicht mit Tee oder Zuckerlösung zugefüttert werden. Eine Praxis, die weit verbreitet ist, und die den Stillerfolg laut SuSe-Studie nachweislich konterkariert.

Trotzdem scheint die Initiative nicht in dem Maße zu fruchten, wie man es gerne hätte. Eine Studie, durchgeführt von brasilianischen Forschern um Sonja Bechara Coutinho und erschienen in der britischen Fachzeitschrift The Lancet, kam etwa zu dem Schluss, dass Frauen in stillfreundlicher Umgebung zwar anfangs eher stillen (70 Prozent), aber sobald sie daheim sind, stillt doch nur jede dritte Frau weiter.

„Längst nicht auf allen Wochenstationen wird genügend Sensibilität und Zeit aufgebracht um Mut und Freude beim Stillen zu vermitteln“, berichtet Edith Wolber, Pressereferentin beim Bund Deutscher Hebammen. In der Ärzteschaft ist beispielsweise der Glaube weit verbreitet, manche Frauen hätten einfach nicht genug Milch, und es wird voreilig zum Abstillen geraten. Dabei gibt es wirksame Mittel, die Milchmenge zu jeder Zeit zu steigern. Dazu zählen etwa häufiges und richtiges Anlegen, Stilltees oder Abpumpen der Milch.

Ärzte und Krankenschwestern haben auch noch andere Wissenslücken, was das Stillen angeht. Die American Diet Association hat dazu kürzlich medizinisches Personal auf Geburtsstationen befragt. Das Ergebnis: 51 Prozent gaben an, nur wenig über die Stillpraxis allgemein zu wissen. Die größten Lücken hatte das medizinische Personal, als es um Stillprobleme ging. „Ärzte kümmern sich einfach nicht um das Thema“, weiß ein Hamburger Frauenarzt.

Erfolg versprechend scheint eine intensive Betreuung durch Stillberaterinnen zu sein: In der Lancet-Studie hat man Mütter nach dem Krankenhausaufenthalt auch noch in den eigenen vier Wänden von Fachpersonal betreuen lassen. Nach 180 Tagen stillten noch 45 Prozent der Frauen mit, aber nur 13 Prozent ohne Betreuung. Doch dass es solche „Expertinnen“ gibt, wissen viele Wöchnerinnen gar nicht.

In Deutschland wird zudem nur die Hebammenbetreuung von den Kassen finanziert, nicht aber eine speziell ausgebildete Stillberaterin. Bei der AOK etwa ist man überzeugt, dass Frauenärzte und Hebammen genügend geschult sind, um Stillprobleme zu beheben. Ein Verteilungskampf – jeder beansprucht für sich die beste Ausbildung zu haben, dazu kommt die Emotionalität, der sich keiner beim Thema Stillen entziehen kann.

Um Stillprobleme schon von vornherein zu vermeiden, fordern Experten, die werdenden Eltern bereits vor der Geburt über mögliche Schwierigkeiten zu informieren. Aber: „In der Geburtsvorbereitung geht es oft nur um die Vorteile des Stillens“, weiß Hildegard Przyrembel. Andererseits wollen die Eltern vor der Geburt oft gar nichts darüber hören – „das klappt dann schon“, so die Überzeugung.

Dass die Männer eine große Rolle spielen, was die Stillentscheidung anbelangt, hat auch die SuSe-Studie herausgefunden. Unterstützt er die Stillentscheidung, überlässt dem Nachwuchs vorübergehend das „Terrain“, treten seltener Stress und Stillprobleme auf, die schlimmstenfalls zum Abstillen zwingen.

Norwegische Männer sind sehr für das Stillen. Sie bekommen nach der Geburt des Kindes zudem sechs Wochen Urlaub. Experten sprechen von einer Stillkultur, die uns in Deutschland verloren gegangen ist. Dass Stillen wieder selbstverständlicher wird, daran arbeiten neben der NSK auch zahlreiche Stillgruppen, Ärzteinitiativen und Verbände – doch das geht freilich nur langsam.