: Online-Verstärkung für Flüchtlingskinder
Panter-Kandidat (5): Der 13-jährige Nanning Honsel betreibt eine Internetseite gegen Abschiebung
An dieser Stelle porträtieren wir jeden Samstag eineN von neun KandidatInnen für den taz-Panter-Preis
Er macht das, was viele Jungs in seinem Alter gerne tun: am Computer sitzen. Natürlich ist der 13-jährige Nanning auch ganz verrückt nach Computerspielen, aber regelmäßig nutzt er den PC seiner Mutter auch, um seine eigene Internetseite zu pflegen und Mails zu verschicken. Er will nämlich auf das Schicksal eines jungen Mannes aufmerksam machen, der nach Afghanistan abgeschoben werden soll.
In der Küche ihres Hauses in Esgrus, nahe der dänischen Grenze, erzählen Nanning und seine Mutter, Christiane Boysen-Honsel, die Geschichte von Moghim, der mit 15 Jahren aus seiner Heimat nach Deutschland gekommen ist. „Er hat wirklich Furchtbares mitgemacht“, sagt Christiane Boysen-Honsel. „Sein Vater und zwei Geschwister sind bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen, sein Onkel hat im Streit Moghims Mutter erschlagen.“ Der Junge sei daraufhin auch vom eigenen Onkel bedroht worden und habe deshalb die Flucht ergriffen.
Nachdem Moghim von Schleppern nach Hamburg gebracht wurde, lebte er dort ein Jahr im Kinderheim. „Er hat sich da ganz wohl gefühlt“, sagt Nanning, etwas schüchtern. Doch als Moghim 16 Jahre alt wurde, musste er in das Asylbewerberheim in Flensburg umziehen. Nach deutschem Ausländerrecht gelten 16-Jährige bereits als volljährig und werden in einem Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Somit droht dem heute 18-jährigen Moghim die Abschiebung.
Christiane Boysen-Honsel schiebt einige Pizzen in den Ofen und erinnert sich: Durch Zufall sei sie auf Moghims Schicksal gestoßen, beim Blättern in einer Zeitschrift. „Daraufhin habe ich Kontakt mit dem Asylbewerberheim in Flensburg aufgenommen“, sagt sie. „Und Moghim ist regelmäßig bei uns gewesen“, fügt Nanning hinzu. „Doch seit klar wurde, dass er abgeschoben werden soll, durfte er nicht mehr herkommen.“ Er habe Flensburg nicht verlassen dürfen, erklärt Christiane Boysen-Honsel, das wäre ein Verstoß gegen die Residenzpflicht gewesen. Und sie erzählt noch von einer Menge anderer Schikanen, die sie im Kampf um ein bisschen Fürsorge für Moghim erlebt hat.
Obwohl die Familie kein offizielles Vormundschaftsrecht hat, würde sie sich auch in Zukunft gerne um Moghim kümmern und ihn in ihrem Haus aufnehmen. Um die Chance zu erhöhen, dass Moghim bei Honsels einziehen kann, hat Nanning beschlossen, eine Homepage für Moghim zu gestalten. „Ich hatte letztes Jahr nach den Sommerferien in der Schule eine AG, die hieß ‚Homepage für Anfänger‘ “, erklärt er. Dort habe er gelernt, wie man eine Webpage programmiert. Bevor er aber die Internetseite präsentiert, gibt es erst mal Essen.
Nannings Internetauftritt ist einfach gestaltet, aber eindringlich. Unter www.ich-werde-abgeschoben.de weist er auf Moghims Schicksal hin. Auf der ersten Seite steht ein Text, den Moghim mithilfe von Christiane Boysen-Honsel verfasst hat, er berichtet darin über sein Leben in Afghanistan und seine Flucht aus der Heimat. Für diesen Text hat der junge Mann im Februar dieses Jahres den Anne-Frank-Preis „Kriegskinder“ gewonnen. Und diese Auszeichnung aus den Händen von Bundespräsident Horst Köhler persönlich erhalten. „Wir haben ihn damals auf Moghims Situation aufmerksam gemacht, aber Köhler – ebenso wie Rita Süssmuth – haben uns einfach an Pro Asyl verwiesen“, sagt Christiane Boysen-Honsel. Die Enttäuschung ist ihr noch anzuhören.
Unterdessen hat Nanning auf seiner Seite die Bilder von Moghim und dem Bundespräsidenten bei der Preisverleihung aufgerufen. „Ich möchte mit den Fotos auch zeigen, wie Moghim aussieht“, sagt er. „Vielleicht stellt sich das Ausländeramt ja unter ihm einen alten Mann mit weißem Bart vor?“ Deshalb möchte er auch bald noch mehr Fotos und einen kleinen Film über Moghim auf die Seite stellen. Beim dritten Klick gelangt man erneut zu einem Text, in dem Nannings Schwester Informationen über minderjährige Flüchtlinge zusammengestellt hat. Ein Mädchen habe ihn schon angeschrieben und moniert, dass er so wenige Absätze auf der Seite habe. „Sie hat mir auch ihre Hilfe angeboten.“
Auf der letzten Seite seiner Homepage hat Nanning einen Artikel aus der Zeitschrift Menschen über Moghim eingescannt und veröffentlicht. Außerdem hat er den Hinweis platziert, dass er bald einen Beitrag von NDR Info über Moghim einstellen möchte, „sobald ich gelernt habe, wie man Audiodateien einfügt“. Außerdem hat Nanning zahlreiche Mails an Internetportale geschrieben und sie gebeten, seine Seite zu verlinken. Teilweise mit Erfolg. Und auf der Kinder-Informationsseite www.helles-koepfchen.de hat er einen Artikel über Moghim geschrieben. „Keiner will, dass Moghim weggeht, nur die Politiker und die Gesetze“, empört sich der 13-Jährige, der mittlerweile viele Kontakte zu Menschen hat, die auch Flüchtlingskinder betreuen.
Mittlerweile stehen die Chancen, dass Moghim bei der Familie Honsel bleiben darf, ziemlich gut. Ein amtsärztliches Gutachten wurde erstellt, eine Rückkehr Moghims in sein Heimatland wird darin als unzumutbar für den jungen Mann bewertet. Seitdem er in das Asylbewerberheim gezogen ist, leidet Moghim unter Ängsten und Depressionen. Nur der Bürgermeister aus Esgrus muss dem Verbleib Moghims bei den Honsels noch zustimmen.
Wichtig sei, dass sich Moghim erst einmal ausruht und dann wieder zur Schule geht, meint Christiane Boysen-Honsel. Und Nanning freut sich: „Ich habe nun einen großen Bruder, dem ich noch was beibringen kann.“ Seine Internet-Seite will er auf jeden Fall auch in Zukunft weiter betreiben – sein Engagement für Flüchtlingskinder hat gerade erst angefangen. JUTTA HEESS