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Archiv-Artikel

Die platzierte Frau

SPD Ein Jahr nach ihrem Sprung in Steinmeiers Schattenkabinett ist Manuela Schwesig dabei, zur Schlüsselfigur der Partei zu werden. Trotz Machos. Und trotz Andrea Nahles

Manuela Schwesig

Die 36-jährige Sozialministerin und frühere Finanzbeamtin aus Mecklenburg-Vorpommern ist in der SPD rasant aufgestiegen

■ 2003 tritt sie in die Partei ein.

■ 2004 wird sie Mitglied der Schweriner Stadtvertretung und im selben Jahr stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

■ Oktober 2008 macht Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sie zur jüngsten deutschen Landesministerin.

■ Juli 2009 holt SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sie ins sein Wahlkampfteam für den Bereich Familie. Nach der verlorenen Bundestagswahl wird sie stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. (gor)

VON GORDON REPINSKI

Auf ihrer Sommerreise ist Manuela Schwesig am Dienstagnachmittag bei über 30 Grad schwüler Hitze vor der Haustür ihrer wichtigsten Gegnerin angekommen. Sie macht halt in Wiesbaden, dem Wahlkreis von CDU-Familienministerin Kristina Schröder, sie sitzt in der Asklepios-Klinik, in dem die Klimaanlage die Luft auf „genau 23 Grad“ herunterkühlt, wie der Gastgeber betont, während er eine Präsentation zum Thema Geriatrie an die Wand wirft. „Für viele scheint das Thema Pflege noch sehr weit weg zu sein“, sagt Schwesig danach eindringlich, „aber der demografische Wandel erfordert von uns allen ein Umdenken“.

Im Wahlkreis von „Frau Doktor Schröder“, wie sie die Novizin im Bundesministerium nennt, spricht die Sozialministerin aus Mecklenburg-Vorpommern besonders gern über Pflege. Denn bei den sozialen Themen hat die SPD-Frau die Schwächen ihrer Konkurrentin ausgemacht, die gerade das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger streichen ließ. Schröders Verständnis von Familienpolitik sei, „dass für eine Familie schon alles wird, wenn sie sich nur genug anstrengt“, schimpft sie nach der Veranstaltung auf dem Rücksitz ihres Dienstwagens, auf der Fahrt zum nächsten Termin. „Aber das Leben von vielen Familien ist nicht nur heile Welt.“

Vor einem Jahr kannte fast niemand Manuela Schwesig, doch jetzt ist sie zu einer Schlüsselfigur der neuen SPD geworden. Erst holte Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sie aus Mecklenburg-Vorpommern in sein Schattenkabinett für die Bundestagswahl. Danach machte Parteichef Sigmar Gabriel sie zur Parteivize. Und jetzt, nach einem Jahr, beginnt Schwesig die Attacke auf die Regierung. Sie wird gefördert – als Frau in der Machopartei SPD. Sie wird für die Öffentlichkeit mit einer Sommerreise platziert, sie spricht im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, sie ist omnipräsent.

Vor einigen Wochen legte sie den ehemaligen Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine in einer Talkshow aufs Kreuz. „In der Linkspartei gibt es eine Menge Betonköpfe“, sagte sie. Lafontaine: „In der SPD auch“. Schwesig: „Einige sind dann auch gegangen.“

Da musste sogar Lafontaine schmunzeln. Als er 1999 die SPD verlassen hat, war Schwesig noch nicht einmal Mitglied, sie kam erst 2003.

Freunde hätten ihr per SMS zu dem Auftritt gratuliert, erzählt sie. „Ich kenne Lafontaine nicht als jemanden, der mal in unseren Reihen war“, sagt Schwesig. Es sind Sätze wie dieser, die nüchtern und rotzig zugleich sind und in der SPD sehr gerne gehört werden. Denn das Thema Lafontaine traumatisiert noch immer viele Sozialdemokraten, und so ein Satz klingt nach Neuanfang mit der Linken.

Schwesig ist die einzige Fachpolitikerin, die aus der Parteizentrale die Regierung angreift. Die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Dagmar Freitag tritt neben ihr kaum in Erscheinung. „Das, was ich vorschlage, soll ab 2013 auch Regierungspolitik werden“, sagt sie selbstbewusst. Also frühkindliche Bildung und Unterstützung für Alleinerziehende. Auf dem Weg dahin stehen 2011 bei ihr in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen an. Schwesig wird das bekannteste Gesicht der SPD im Wahlkampf werden, der für sie trotzdem nur eine Zwischenstation ist auf dem Weg zur kommenden Bundestagswahl. Dann soll Schwesig als Gegenentwurf zu Kristina Schröder Familienpolitik sozialer und glaubwürdiger vertreten als die Amtsinhaberin.

Die Quereinsteigerin

Berlin-Kreuzberg im Juni. Restaurant Sale e Tabacchi, nahe dem ehemaligen innerdeutschen Grenzübergang Checkpoint Charlie. Manuela Schwesig sitzt in der Sonne im Hinterhof, im beigen Hosenanzug, lehnt sich entspannt zurück. Sie hat das Restaurant ausgesucht, es ist ein besonderer Ort für sie. Sie weist auf einen Nachbartisch, wo sie vor einem Jahr mit Mitarbeitern des Willy-Brandt-Hauses saß und die bis dahin schwerwiegendste Entscheidung in ihrem politischen Leben bei einer Flasche Wein sacken ließ. „Ein aufregender Tag“, sagt sie.

Sie trug denselben beigen Hosenanzug, als Frank-Walter Steinmeier sie gerade in sein Wahlkampfteam berufen hatte und sie direkt neben ihm beim Fototermin in die Kamera lächelte. Auf einmal verkörperte sie für eine alte, machohafte, ausgemergelte Partei Jugendlichkeit und Schönheit, Frische und Weiblichkeit. Es war eine Menge Verantwortung für den Anfang, und es war schon ihr zweiter großer Sprung innerhalb weniger Monate. Denn bis Herbst 2008 war Schwesig noch einfache Finanzbeamtin.

Schwesig ist eine Quereinsteigerin. „Die Jahre Verwaltungserfahrung habe ich vielen voraus“, sagt sie. Ein „gewisses distanziertes Verhältnis zu Berlin“ hatte sie vor ihrem Wechsel, war „voller Skepsis gegenüber dem Geschäft“. Weil die Taktik so eine große Rolle spielte. Nun war sie selbst ein Teil der Taktikwelt.

In der nicht mehr ganz so tristen Gegenwart der SPD des Jahres 2010 tagt im Raum 1.138 des Willy-Brandt-Hauses die Zukunftswerkstatt Familie. Thema heute: „Infrastruktur“. Es gibt aufgewärmte Lasagne mit einem grünen Salat und ein Peter Klausch hält ein Impulsreferat.

Es folgen lange Diskussionen über die Notwendigkeit von Ganztagsbetreuung und Kita-Plätzen in einer Gruppe von 30 Experten und Parteileuten. Alle reden gern und viel in solchen Runden, aber weil Manuela Schwesig im Anschluss ihren ersten Termin bei Kristina Schröder hat, muss sie ganz pünktlich aufhören. „Bitte habt Nachsicht, dass wir heute auf die Vorstellungsrunde verzichten“, sagt sie. Als es spät wird und der Folgetermin bei der Ministerin immer näher rückt, lässt Schwesig trotzdem jeden ausreden.Wenn die Statements zu lange dauern, kneift sie ihre Beine unter dem Tisch zusammen, aber über dem Tisch faltet sie nur locker die Hände, hält Blickkontakt und bleibt immer höflich.

Ob im Parteigremium oder der Asklepios-Klinik, bei einem Sozialprojekt in Spandau oder in Frankfurt: Manuela Schwesigs große Stärke ist ihre Gabe, zuzuhören. Es sind stille Eigenheiten, aber sie machen Schwesig zu einer Ausnahme im narzisstischen Berliner Betrieb.

Frau unter Machos

Schwesig steht in der SPD nun im Rampenlicht. Es wird nach einem Jahr zunehmend schwieriger für sie, den Härten des Berliner Geschäfts auszuweichen. Und um weiterzukommen, wird sie selber Härten austeilen. Denn mit Ihrer medialen Präsenz wird Schwesig zunehmend zu einer Konkurrentin der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Als Schwesig Lafontaine aufs Kreuz legte, war das Thema der Talkshow die Bundespräsidentenwahl. Es hätte auch der Generalsekretärin gut angestanden.

Wenn die Statements zu lange dauern, kneift sie ihre Beine unter dem Tisch zusammen

Schwesig ist in einer Partei, die es Frauen nie leicht gemacht hat und in der selten mehr Platz als für eine Frau an der Spitze war. Keine andere Partei ist so machohaft wie die SPD, und keine andere Partei ist in der Vergangenheit so skrupellos mit ihren weiblichen Spitzenkräften umgesprungen. Viele sagen, dass Dolchstöße wie bei der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis im Jahr 2005 oder bei der Hessin Andrea Ypsilanti 2008, deren Kandidaturen für das höchste Amt in ihren Bundesländern an den Stimmen der eigenen Leute scheiterte, nur in der SPD passieren konnten. Und dass Männer dieses Schicksal wohl nicht ereilt hätte.

Schwesig weiß, dass sie für die SPD auch deshalb interessant wurde, weil sie jung, blond und hübsch ist. Sie hat darauf geachtet, dass sich die Herren auch für sie als Politikerin interessieren.

„Nicht vom Raumschiff Berlin vereinnahmen lassen“, ist ihr Motto. Und nicht an Parteifreunde glauben. „Politische Vertraute“ gibt es, sagt sie. Wie Matthias Platzek, der brandenburgische Ministerpräsident. Der fremdelte mit dem Raumschiff Berlin auch, bis er sich vom Parteivorsitz in die Landespolitik zurückzog.

Doch Schwesig ist anders. Parteikollegen beschreiben sie als sehr ehrgeizig, knallhart und als eine Frau, die sehr genau weiß, was sie will. „Ich beschäftige mich nicht groß mit meiner persönlichen Zukunft“, sagt sie. „Meine Aufgabe ist es, an die Zukunft der Menschen im Land zu denken.“

Nur früher, in der Kommunalpolitik, hätte sie gemerkt, dass sie „mehr wollte“.

In Wiesbaden auch. Dort hat sie auf ihrer Sommerreise noch schnell dem Wiesbadener Kurier ein Interview gegeben. Es ist das Hausblatt ihrer Konkurrentin Kristina Schröder.

Manuela Schwesig fährt weiter. Sommerpause kommt später.