Das Vergnügen, zu berlinern

THEATER Ein schöner Coup für die Komödie am Kurfürstendamm in sechs Akten: „Roter Hahn im Biberpelz“ – Katharina Thalbach feiert mit dem Gerhart-Hauptmann-Doppel im Kreise ihrer Theaterfamilie Geburtstag

VON JÖRG SUNDERMEIER

Der Amtsvorsteher fragt, ob die alte Zeugin nicht vielleicht zu alt sei. Mutter Wolffen macht große Augen und nickt verlegen. Denn die Zeugin ist 60. Das Publikum grölt und applaudiert minutenlang. Denn die Schauspielerin, die hier Frau Wolff spielt, ist Katharina Thalbach – die genau am Sonntag, dem Tag der Uraufführung, 60 Jahre alt geworden ist.

Damit sie den Tag aber nicht einfach in einer Gaststätte begehen muss, hat sich die Komödie am Kurfürstendamm etwas Besonderes einfallen lassen. Thalbachs Halbbruder Philippe Besson hat (mit Jan Liedtke) für diesen Anlass die beiden Stücke „Der Biberpelz“ und „Der rote Hahn“ von Gerhart Hauptmann zu einem sechsaktigen Stück zusammengefasst und es ganz auf Katharina Thalbach zugespitzt. Sie darf sich rund zweieinhalb Stunden lang durch das Stück berlinern, darf sich ganz ausagieren, und man merkt, wie sehr es ihr selbst ein Vergnügen ist.

Die beiden Hauptmann-Dramen hatte bereits Bertolt Brecht am Berliner Ensemble zu einem Sechsakter zusammengefasst und inszeniert, doch schon nach wenigen Aufführungen im Jahr 1951 untersagte Margarethe Hauptmann, die Witwe des Dichters, weitere Vorstellungen. Das Verbot gilt bis heute. Da aber Katharina Thalbach dem Berliner Ensemble durch ihre Mutter und durch Helene Weigel, die sich der jungen Halbwaise Thalbach annahm, eng verbunden ist, war es einen Versuch wert, die Hauptmann-Erben dazu zu überreden, einer Neufassung des Stückes zuzustimmen. Nun wird zwar nicht der Brecht’sche Hauptmann gespielt, wohl aber ein Sechsakter.

Zur Seite stehen Thalbach dabei neben ihrem anderen Halbbruder, dem Schauspieler Pierre Besson, ihre Tochter Anna und ihre Enkelin Nellie; für Letztere ist es der erste Auftritt als Erwachsene auf einer großen Bühne. Und selbstredend spielt sie die Adelheid, wie es schon ihre Großmutter getan hat und in der oben erwähnten Brecht-Fassung die früh verstorbene Urgroßmutter, Sabine Thalbach.

Familienbande also, wohin das Auge schaut. Und alle außer Katharina spielen mehrere Rollen. Anna Thalbach etwa sowohl die faule und etwas blasse Tochter Leontine als auch den Amtsgehilfen Glasenapp, den sie als vertrotteltes bucklicht Männlein gibt, zur erheblichen Freude des Publikums. Um dieses zu unterhalten, wird im ersten Teil, dem „Biberpelz“, das Boulevardtheater bis in allen Facetten ausgespielt, kein Witz ist zu flach, keine Obszönität zu derb, um nicht genutzt zu werden. Wunderbar kann Katharina Thalbach ihr Gesicht verziehen, das Publikum kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus.

Doch hat Philippe Besson, der auch Regie führt, das Stück so schnell inszeniert, dass man die allzu klamottigen Szenen gerne mitnimmt. Er jagt seine Verwandtschaft manchmal geradezu über die Bühne, die von Momme Röhrbein so geschickt bebaut wurde, dass sie viele schnelle Szenen- und Kostümwechsel erlaubt.

Eine Wendung ins Böse

Im zweiten Teil, in dem Nellie Thalbach als gehandicapter Gustav Rauchhaupt zuerst noch – dem Spiel gemäß – völlig überagiert, bis sie sogar Tragik aus der Rolle herausholt, wird zunächst wieder temporeich herumgealbert, doch die Rolle der Mutter Wolff wendet sich auch hier – so wie bei Hauptmann vorgesehen – plötzlich ins Böse. Hat sie vorher nur die Reichen bestohlen, schiebt sie nun ihr Verbrechen (das eigene Haus angezündet zu haben) dem unschuldigen Gehandicapten in die Schuhe.

Sie begeht also Klassenverrat. Just in diesem Augenblick lässt der Regisseur seine Inszenierung kippen, er nimmt das Tempo ganz behutsam zurück, lässt seine Verwandten sowie die weiteren Schauspieler – Jörg Seyer, Ronny Miersch, Julian Mehne und Roland Kuchenbuch – nun viel präziser agieren, die Komödie wird zum Drama, das Publikum, das zunächst noch lachen will, erstarrt allmählich.

Als schließlich Witwe Wolff, die erkennen muss, dass sie niemals aus ihrem Milieu aufsteigen kann, stirbt, hält man kurz den Atem an. Jetzt zeigt Katharina Thalbach mit großer Selbstsicherheit, wie sehr sie auch die ernsthafte Seite ihres Berufs beherrscht. Denn hier, in den letzten Minuten, sitzt man unvermutet in einem Stück, das – wenn auch auf simple, manchmal allzu simple Weise – erklärt, wie es zum vermeintlichen Wohlstand für alle im kapitalistischen Deutschland gekommen ist und was das und wen das was gekostet hat.

Spätestens hier erweist sich dann, dass „Roter Hahn im Biberpelz“ mehr ist als nur ein Fest für eine ruhmreiche Theaterfamilie und ihr unbestreitbares Oberhaupt – es ist, wie es zu sein hat im Theater, ein Geschenk ans Publikum.

■ Bis 23. Februar tägl. außer Mo. in der Komödie am Kurfürstendamm