AM MEISTEN HAT SÜDKOREA DERZEIT VOR JAPAN UND DEN USA ANGST : Es gibt Wichtigeres als Raketen
Was hat mehr Nachrichten- und Unterhaltungswert: brisante Waffentests einer benachbarten Diktatur oder ein WM-Halbfinalspiel am anderen Ende der Welt? Als vor einer Woche Nordkorea sieben Raketen abschoss, verlor gerade Deutschlands Fußballmannschaft in Stuttgart gegen Italien. Die Reaktionen waren in Südkorea und Japan völlig unterschiedlich. In Seoul, wo man seit Jahrzehnten mit Nordkoreas Drohungen lebt und sich in Reichweite der gegnerischen Artillerie weiß, waren die Raketen für keinen TV-Sender Anlass, die Fußballübertragung zu unterbrechen. Ganz anders in Japan: Dort beendeten die Raketen, die Japan erreichen können, sogar die Sendung aus Stuttgart. Seither betreibt die Regierung hektische Diplomatie und bemüht sich um einen Sanktionsbeschluss im UN-Sicherheitsrat. Japanische Politiker denken gar laut über militärische Präventivschläge nach.
Auch Südkoreas Regierung verhehlte ihre Enttäuschung über Nordkoreas Verhalten nicht und setzte einige Hilfslieferungen aus. Doch sind die Raketentests für Seoul kein Anlass, die Entspannungspolitik gegenüber dem Norden zu ändern. Vielmehr macht sich Seoul Sorgen um die Reaktionen in Tokio und Washington. So kritisiert Südkorea jetzt die „Arroganz“ japanischer Politiker, den Konflikt mit „gefährlicher und provozierender Rhetorik“ anzuheizen, wie es ein Präsidentensprecher ausdrückt.
Das Gefühl, durch Nordkorea bedroht zu sein, könnte zwischen Südkorea und Japan unterschiedlicher kaum sein. Die Japaner reagieren mit Verängstigung auf die Raketen, die deshalb für Nippons Falken willkommener Anlass sind, das Militär aufzurüsten und ihm Auslandseinsätze zu ermöglichen. Aus südkoreanischer Sicht sind die Raketen grundsätzlich nichts Neues. Vielmehr wiegen sich manche in der trügerischen Sicherheit, dass die Geschosse auf die USA und Japan zielten und nicht auf Südkorea – wenn nur Tokio und Washington den Konflikt nicht mit unüberlegten Aktionen anheizen. Darunter hätte dann der Frontstaat Südkorea als Erstes und viel direkter zu leiden als unter Nordkoreas Raketentests. SVEN HANSEN