FDP-NRW wirbt CDUler ab

Liberale wollen von Merkel und der großen Koalition enttäuschte Christdemokraten für sich gewinnen. Landes-CDU und Wirtschaftsflügel wissen nichts von Mitgliederwanderung

VON MARTIN TEIGELER

Wer Angela Merkel nicht mehr mag, soll sich für Guido Westerwelle begeistern. Die FDP versucht enttäuschte Parteimitglieder von der CDU abzuwerben. Die Einladung an Christdemokraten, die den Kurs der großen Koalition ablehnen, gilt auch in NRW – obwohl CDU und FDP hier gemeinsam regieren. Erste Neueintritte von Ex-CDU-Mitgliedern seien in den NRW-Kreisverbänden bereits zu verzeichnen, sagt FDP-Landesparteisprecher Marco Mendorf. Genaue Zahlen könne er derzeit nicht vorlegen. Es gebe „eine kleine, beginnende Wanderung von der Union zur FDP“, sagt der aus NRW kommende Bundesparteichef Westerwelle.

Zu wenig Unternehmenssteuersenkungen, zu viel Mehrwertsteuererhöhung, zu viel „Staatswirtschaft“ und „Reglementierung“ – besonders der wirtschaftsnahe Flügel der Volkspartei CDU ist unzufrieden mit Bundeskanzlerin Merkel und der großen Koalition. „Ich kann mir vorstellen, dass weitere Christdemokraten meinem Beispiel folgen“, sagt der Kölner Unternehmer und Ex-Christdemokrat Ingo Stolle, der mittlerweile bei der FDP eingetreten ist (siehe Interview).

Die FDP scheint alles daran zu setzen, wankelmütige CDU-Wirtschaftsleute von sich zu überzeugen. In den letzten Monaten sprachen führende NRW-Liberale bei Versammlungen des CDU-nahen „Wirtschaftsrats“. FDP-Landeschef Andreas Pinkwart trat bei einer Regionaltagung in Siegen auf, die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin referierte vor CDU-Wirtschaftsleuten in Minden-Lübbecke. Auch Westerwelle und NRW-Generalsekretär Christian Lindner wurden schon bei den CDU-Unternehmern gesehen. Auf der Webseite des CDU-Wirtschaftsrats NRW lässt sich ein Spiegel-Artikel über „Die gelbe Gefahr“, über freidemokratische Abwerbeversuche nachlesen.

„Mir ist kein einziger Fall von einem Parteiübertritt bekannt“, sagt Wirtschaftsrat-Sprecher Erwin Lamberts. Auch Klaus Gravemann, Landesgeschäftsführer der CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT), will von „großflächigen“ Mitgliederverlusten nichts wissen. „Einzelfälle mag es geben“, sagt Gravemann. „Sicherlich gibt es eine gewisse Frustration, weil wir in Berlin in der der Koalition mit der SPD nicht alles durchsetzen können.“ Die Stimmungslage bei den 9.000 MIT-Mitgliedern sei „durchwachsen“. Eine Parteiaustrittswelle fürchtet Gravemann aber nicht. „Die Schwelle, zu einer rein wirtschaftsliberalen Partei wie der FDP zu wechseln, ist hoch“, sagt der MIT-Geschäftsführer. Bei aller Kritik im Einzelfall seien die Mitglieder der CDU treu.

Hinter vorgehaltener Hand ärgern sich führende Christdemokraten dennoch über die Abwerbeversuche der FDP. „Das sind Spielchen“, sagt ein CDU-Funktionsträger. Die FDP werde mit ihren „Umarmungsstrategien“ scheitern. In den Umfragen verzeichnen die Freidemokraten ein neues Popularitärshoch. Laut Forsa kommt die FDP bundesweit aktuell auf 14 Prozent, die CDU erreicht nur noch 32 Prozent. Das wären noch einmal zwei Prozent weniger als bei der Bundestagswahl 2005. Auch bei dem Urnengang hatte die FDP von der CDU-Schwäche profitiert. Nach den Wählern könnten den Konservativen bald auch einige Mitglieder abhanden kommen.

Wie CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auf die Abwerbeversuche der FDP reagiert, ist nicht überliefert. Eigentlich sollte die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf das Gegenmodell zur großen Koalition in Berlin sein. Statt dessen setzen die Liberalen nun offenbar auf parteipolitischen Egoismus.