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Archiv-Artikel

„Intoleranter als wir denken“

VORTRAG Ein Konfliktforscher erklärt, wer anfällig dafür ist, andere Menschen abzuwerten

Von EIB
Andreas Zick

■ 51, Psychologe, ist Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld.

taz: Herr Zick, „menschenfeindlich“ ist kein oft benutztes Wort.

Andreas Zick: Es setzt sich durch. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass die Bundesregierung sich mit „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ auseinandersetzen will.

Ihr Institut hat diesen Begriff geprägt. Warum?

Wir haben beobachtet, dass die einzelnen Facetten von Feindseligkeit zusammengehören. Antisemitismus geht mit Islamfeindlichkeit einher, Sexismus mit Homophobie. Jemand, der Vorurteile gegen eine Gruppe hegt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anfällig für weitere.

Was meinen Sie mit „anfällig“?

Wir haben herausgefunden, dass Vorurteile erst dadurch zustande kommen, dass Sie eine Gruppe finden, die diese bestätigt. Mit etwa acht, neun Jahren beginnen Kinder zu erleben, dass man andere abwerten kann. Und sie verstehen, dass ein richtig gutes Vorurteil eins ist, dass man nicht widerlegen kann.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn man sagt, „Juden haben zu viel Einfluss“, dann bestätigt jeder Versuch, das zu widerlegen nur das Vorurteil. Interessant beim Antisemitismus ist, dass er unter Gebildeten sehr verbreitet ist. Fast 50 Prozent der Bevölkerung hegen antisemitische Vorurteile – in einer neuen Variante.

Welcher?

Wer zustimmt, Israel führe „einen Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser“, äußert meistens auch Zustimmung zu negativen Stereotypen über Juden.

Sexismus ist auch verbreitet.

Oh ja. Interessant daran ist, dass das überhaupt nicht diskutiert wird und wir uns an ihn gewöhnt haben. Es gibt auch hier eine moderne Spielart, den benevolenten Sexismus. Da heißt es, „Ich bin ja für Gleichstellung, weil die Frauen auch mal ran müssen.“ Wer so redet, wertet Frauen ab, als B-Gruppe. Auch Frauen sind gegenüber dem eigenen Geschlecht sexistisch.

Warum?

Ganz verkürzt gesagt: Weil es weniger Stress bedeutet.

Gibt es Menschen, die nicht anfällig sind?

Wenige. Die meisten halten sich für toleranter als sie sind.

Sie sich auch?

Ja. Wenn ich ein Vorurteil bemerke, stelle ich mir die Frage, unter welchen Umständen ich bereit wäre, es aufzugeben. Wenn wir ehrlich mit uns sind, muss da oft eine Menge zusammenkommen. Wie menschenfeindlich eine Gesellschaft ist, lässt sich auch daran ablesen, wie schnell Vorurteile aktiviert werden können.

Was meinen Sie?

Denken Sie an Seehofers Spruch über Zuwanderer, „wer betrügt, der fliegt“. Der hat damit aus dem Stand eine große Menge von Menschen abgeholt.

Was haben wir davon, menschenfeindlich zu sein?

Es gibt fünf Motive. Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wir glauben, so die Welt verstehen zu können, Kontrolle und Macht, Steigerung des Selbstwertgefühls und wir erklären so, wem wir vertrauen und wem nicht. An diese Motive muss man ran, wenn man Menschenfeindlichkeit bekämpfen will.

Interview: EIB

19 Uhr, Zentralbibliothek, Wall-Saal, Am Wall 201