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Archiv-Artikel

Todesfälle bei ausländischen „Trainees“

JAPAN Ausländische Arbeiter werden dort brutal ausgebeutet. Die Rechte hetzt offen gegen eine vermeintliche Überfremdung

2008 kamen 35 und letztes Jahr 27 Trainees ums Leben – viele durch Überarbeitung

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Li Qhing Zhi hatte einen Traum: Der gelernte Koch wollte in seiner Heimat in China ein japanisches Restaurant aufmachen. Als er von einem Weiterbildungsprogramm für ausländische Fachkräfte in Japan hörte, sah er darin die Chance seines Lebens. Doch Zhi erlebte einen Albtraum: Drei Jahre lang musste er für einen Möbelhersteller Hilfsarbeiten wie Abfallverbrennen und Laubsammeln verrichten. Bis heute hat der Chinese keine Restaurantküche in Japan betreten. „Inzwischen habe ich die Hoffnung aufgegeben“, sagt Zhi tief enttäuscht.

Statt Ausbildung stand Ausbeutung auf seinem Stundenplan. Von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends dauerte die Fron, nur an 21 Tagen im Jahr hatte er frei. Trotzdem hat der 34-Jährige Glück gehabt. Denn 2008 kamen 35 und letztes Jahr 27 Trainees ums Leben – viele davon wohl durch Überarbeitung. 25 starben an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall, obwohl die Trainees nur zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. „Unter den 190.000 Trainees ist die Rate solcher Todesarten doppelt so hoch wie unter den Japanern dieser Altersgruppe“, berichtet Lila Abiko vom Anwälte-Netzwerk für ausländische Trainees.

Inzwischen hat die Arbeitsaufsicht in Kashima einen ersten Trainee-Tod als Karoshi – dem japanischen Begriff für Tod durch Überarbeitung – anerkannt: Der 34-jährige Chinese Jiang Xiao Dong hatte in den drei Monaten vor seinem Tod im Juni 2008 jeweils zwischen 93 und 109 Überstunden geleistet und erfüllte damit die formale Voraussetzung für die Anerkennung als Karoshi-Opfer. Vergeblich hatte sein Betrieb eine Arbeitszeitkarte mit gefälschten Angaben vorgelegt – das Original wurde im Besitz des Toten gefunden.

Bei der Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften ist Japan kein Einzelfall. Doch das Trainee-Programm heuchelt einen humanitären Beweggrund vor: Offiziell gibt Japan Fachkräften aus Schwellenländern die Chance auf Weiterbildung, um die dortige wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. „Vordergründig geht es um den Transfer von Knowhow“, sagt Anwältin Abiko. In Wirklichkeit seien die meisten Programmteilnehmer ungelernte Kräfte vor allem aus China und den Philippinen, die für Niedriglöhne rund um die Uhr schuften sollen. Über 60 Prozent der beschäftigenden Firmen sind Kleinbetriebe, die für viele Jobs keine Japaner finden und ohne Billigkräfte insolvent wären. Koch Zhi erhielt zwei Jahre lang überhaupt kein Geld, dann speiste ihn sein Chef mit umgerechnet 3,60 Euro je Überstunde ab – knapp der Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns.

Nach dem Regierungswechsel zur reformorientierten Demokratischen Partei (DPJ) vor einem Jahr hatte sich Hoffnung breit gemacht, doch geändert hat sich seither kaum etwas. Seit Anfang Juli gilt zwar auch im ersten „Ausbildungsjahr“ der Mindestlohn, und den Trainees darf nicht mehr der Reisepass abgenommen werden. Die zuständige Behörde zeigte sich einsichtig. „Wir werden die Firmen anweisen, solche Vorfälle zu vermeiden“, erklärte ein Beamter. Aber die Natur des Programms habe sich nicht geändert, betont die Anwältin Abiko.

Die Behörden wollten nicht einmal zugeben, dass dieses Programm ein Deckmantel für die Einwanderung von billigen Arbeitskräften ist, um Japans Rechte nicht zu provozieren. Diese lautstarken Kreise hetzen offen gegen eine angebliche Überfremdung durch Chinesen und haben das Thema Einwanderung zum Tabu gemacht. „Es ist sehr schwer, in Japan offen über Einwanderung zu reden“, weiß Abiko. Im Frühjahr gab deshalb die DPJ ihren Plan auf, Ausländern das kommunale Wahlrecht zu geben. In Japan leben 2,2 Millionen Ausländer – das sind nur 1,7 Prozent der Bevölkerung. Es sind eben keineswegs nur die konservativen Insulaner, die sich an das tief verwurzelte Selbstbild klammern, eine rassisch homogene Menschengruppe zu sein.