: Hängen im Atomschacht
Der G-8-Gipfel wird sich stark machen für die dümmste Art, Kaffee zu kochen – mit Hilfe von Atomstrom. Doch das wird nichts nutzen. Das wissen die Konzerne schon lange
Es waren zwei strahlende Schlagzeilen, die diese Woche die energiepolitische Debatte anheizten. „Bush: Wir brauchen mehr Kernkraft“ und „Blair setzt auf Atomenergie“. Unmittelbar vor dem G-8-Gipfel, auf dem ein neuer Kompromiss zum weltweiten Ausbau der Atomkraft verabschiedet werden soll, zeichnete sich eine politische Offensive ab für die dümmste Art, Kaffee zu kochen: mit Hilfe der Spaltung von Urankernen.
Kann die Atomenergie nach Jahrzehnten der Depression doch noch ein Comeback feiern – angeschoben von der Klimaerwärmung und einem explodierenden Ölpreis auf historischem Hoch? Wird die viel beschworene „Renaissance der Atomkraft“ doch mehr als ein Papiertiger?
Fangen wir mit Bush an. Sein Interview im Handelsblatt, das voreilig als kraftvolle Werbung für die Atomenergie interpretiert wurde, enthält nichts wirklich Neues. Bush hat die „Ölsucht“ der Amerikaner, die ein Viertel der weltweiten Ölproduktion verprassen, mehrfach problematisiert. Er weiß aber auch, dass Autos nicht mit Atomkraft fahren und Atommeiler nur einen kleinen Teil des horrenden Ölverbrauchs ersetzen könnten.
Seine Vorschläge beginnen deshalb nicht mit einem flammenden Atom-Plädoyer. Bush redet stattdessen über Wasserstoffantrieb, Brennstoffzellen und Biosprit. Er fordert „neue Batterietypen“ und „Autos, die mit Äthanol fahren“. Das klingt eher wirr und lässt die schlichte Erkenntnis vermissen, dass die US-Autoflotte nach einer Abrüstung bei Gewicht und Motorisierung bequem mit einem Drittel des Sprits auskäme.
Das Thema Atomkraft wird Bush von den Interviewern aufgedrängt. Der US-Präsident nennt sie artig ein „wichtiges Thema“ und einen „guten Weg“ gegen die Erderwärmung. Er lobt die Ausbaupläne von China und Indien, sagt aber kein Wort zu den Atomplänen im eigenen Land. Aus gutem Grund. Es gibt sie nicht! In den USA wurde 1973 der letzte Atommeiler geordert. Seitdem ist Hängen im Schacht, und allen vollmundigen Ankündigungen zum Trotz ist keine Wende in Sicht.
Die USA haben in den letzten Jahren riesige Kraftwerkskapazitäten zugebaut. Allein zwischen 1999 und 2002 gingen 144.000 Megawatt neu ans Netz. Das entspricht mehr als 100 großen Atommeilern. Doch es befand sich kein einziges Atomkraftwerk unter den neuen Energiezentralen. Es hat nicht einmal zu einem Bauantrag gereicht. Und die Zukunft auf dem Energieleitmarkt der Welt bleibt trübe für die Atomiker. Die Forscher der Energieinformationsagentur der US-Regierung schreiben in ihrem Energie-Ausblick 2005 im Referenzszenario zur Entwicklung in den USA kurz und schmerzhaft: „Es wird nicht erwartet, dass bis 2025 neue Nuklearreaktoren ans Netz gehen.“ Any questions?
Die US-Stromversorger haben immer wieder signalisiert, dass sie staatliche Hilfen brauchen, um neue Atommeiler zu bauen. Atomkraft rechnet sich nicht, die technologischen, finanziellen und politischen Risiken sind immens. Und je größer der zeitliche Abstand zu den letzten gebauten Atomkraftwerken wird, desto unsicherer ist die Lage. Wegen der jahrzehntelangen Dauerflaute existieren keine AKW-Baureihen westlicher Technologie, an die man anknüpfen könnte. Jedes neue Atomkraftwerk ist mit exorbitanten Anfangsinvestitionen und unkalkulierbaren Bauzeiten von mehr als zehn Jahren ein Abenteuer.
Weltweit sind derzeit 27 Atomkraftwerke im Bau. Streicht man die Bauruinen, an denen schon seit zwanzig Jahren herumgewerkelt wird, bleiben etwa 20 Projekte. Die beruhen vor allem auf russischer, indischer und chinesischer Technologie. Die westlichen Industriestaaten müssten – ein halbes Jahrhundert nach der Atomeuphorie der 50er-Jahre – fast wieder von vorn anfangen. Das tun sie derzeit auch. In Finnland begann vergangenes Jahr der Bau von Olkiluoto III, dem ersten europäischen Reaktorbau seit Tschernobyl. Hier soll ein Prototyp der dritten Generation entstehen: der europäische Druckwasserreaktor EPR, der angeblich alle Störfälle beherrschen soll.
Dieses Projekt wurde aber nur mit staatlichen Hilfen, Stromabnahmegarantien und entsprechender Alimentierung möglich. Schon kurz nach Baubeginn zeigt sich die alte Krankheit: Der Bau läuft katastrophal; er wird viel später fertig als geplant und wird erheblich mehr kosten. Das Wirtschaftsmagazin Forbes verglich das Abenteuer der Atomenergie einmal mit dem Vietnamkrieg und sprach vom „größten Desaster der Wirtschaftsgeschichte“. Diesem Desaster könnte in Finnland ein neues Kapitel zugefügt werden.
Und Tony Blair? Sein neuer Energiebericht, der diese Woche vorgelegt wurde, kann nicht als Atomprogramm missverstanden werden. Er bleibt vage, was neue Atomprojekte angeht, bekennt sich aber dazu, dass Atomkraft eine Rolle im künftigen Energiemix spielen soll. Neue Atommeiler, dies macht der Bericht unmissverständlich klar, müssten aber „von der Privatwirtschaft vorgeschlagen, entwickelt, konstruiert, betrieben“ – und vor allem finanziert werden!
Inoffiziell ist zu erfahren, dass allenfalls 2007 ein erster Bauantrag kommen könnte. Nach Genehmigung und Baubeginn 2008 wäre der Meiler im günstigsten Fall Mitte des nächsten Jahrzehnts am Netz. Bis dahin werden aber die meisten derzeit laufenden britischen Meiler aus Altersgründen abgeschaltet sein. Das ist zugleich ein weltweiter Trend: Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromversorgung geht deutlich zurück. Und der globale Atompark ist mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 23 Jahren überaltert. Um die Zahl von 442 Atommeilern weltweit auch nur konstant zu halten, müssten neue AKWs bis 2020 wie Pilze aus dem Boden schießen. Doch ein relevanter Zubau ist außerhalb Asiens nicht in Sicht.
Auch die G 8 werden mit ihrer vermutlich weichen Resolution zur Atomkraft die Talfahrt dieser Technologie nicht stoppen. Ebenfalls auf dem G-8-Programm stehen pikanterweise die Themen Irak, Iran und Nordkorea. Und schon zeigt sich die bedrohliche Kehrseite der friedlichen Nutzung: der militärische Missbrauch zum Bombenbau. Atomenergie ist schon deshalb nie eine weltweite Option. Sie hat keine Akzeptanz, ist unwirtschaftlich, die Entsorgung der strahlenden Hinterlassenschaften ist ungelöst. Und ein einziger Unfall – egal wo – kann das endgültige Aus bedeuten.
Die friedliche Nutzung der Atomenergie sollte einst zur Wiedergutmachung für die Leichenberge von Hiroschima und Nagasaki werden, ein Geschenk für alle Staaten, die auf die Atombombe verzichten. Ein halbes Jahrhundert später wird die Erlöserutopie der 50er-Jahre immer noch künstlich beatmet. Und genau das ist das größte Hindernis für eine echte Energiewende, die nur jenseits des atomar-fossilen Komplexes möglich ist – mit Sonne, Wind und Co. Dort findet die eigentliche Renaissance statt: die Wiederentdeckung der Ur-Energie der Erde.
MANFRED KRIENER