Skepsis am Stab

Nach den Deutschen Meisterschaften rätselt Stabhoch-springer Richard Spiegelburg, ob er zur EM fahren darf

ULM taz ■ Nach dem Wettkampf, wenn die Anspannung abfällt, werden Stabhochspringer philosophisch. „Manchmal sind es gerade die schlechten Bedingungen, die einen weiterbringen“, sinnierte Lars Börgeling am Samstag nach seinem Titelgewinn bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm. 5,75 Meter reichten ihm, um zu triumphieren. „Dass keine Höhen um 5,90 Meter gesprungen werden können, wusste ich schon beim Betreten der Anlage“, behauptete der Leverkusener später. Schließlich hätten die Winde pausenlos gedreht, der Anlauf in Ulm sei bekannt dafür, schlecht zu sein, und der Qualifizierungsdruck für die EM (7. bis 13. August) in Göteborg sei hinzugekommen.

Die EM-Hürde hat Börgeling genommen. Und auch der Kölner Tim Lobinger, der mit 5,91 Metern derzeit die europäische Bestenliste anführt, ist sich sicher, als Drittplatzierter (5,60 Meter) mit im Boot zu sein. „Lars und ich waren schon vor den Titelkämpfen gesetzt“, tönte Lobinger. Und auch Börgeling sah das so. Wer jedoch der Dritte im Bunde sein wird, ist noch nicht sicher: der junge Fabian Schulze oder der ewige Vierte Richard Spiegelburg. Für Schulze, den Jungen, spricht, dass er die Qualifikationshöhe von 5,70 Metern bereits vor seinem Auftritt in Ulm, wie vom Deutschen Leichtathletik-Verband gefordert, zweimal übersprungen hatte. Spiegelburg dagegen war dies im Vorfeld nur einmal gelungen. Seine zweite Normerfüllung brachte der Leverkusener aber als Zweiter (5,70 Meter) beim Entscheidungs-Wettkampf in Ulm – im Gegensatz zu Schulze, der einen klassischen Salto nullo, also einen Wettkampf ohne gültigen Versuch, hinlegte.

„Es steht 1:1“, lautete Lobingers Fazit. Eine Idee, wie das Dilemma, in das die beiden Athleten Bundestrainer Jörn Eberding gebracht haben, zu lösen sei, hat der Stabhochsprung-Oldie auch: „Die beiden sollten einfach einen Ausscheidungswettkampf machen. Wer den gewinnt, fährt nach Schweden.“ Von solch einem „Ausspringen“ sprach auch Spiegelburg am Samstag. Wohl wissend, dass Schulze in Springerkreisen die größere Rückendeckung hat und er selbst sich nur durch seine Vizemeisterschaft überhaupt ins Gespräch um die begehrten EM-Tickets gebracht hat, berichtete der 29-Jährige von der Verfahrensweise in den Vorjahren. Oft schon haben vier oder mehr Springer die Norm für ein Großereignis erzielt. Und meistens war es Spiegelburg, der zu Hause bleiben musste. Ein bisschen resigniert klingt es daher, wenn Spiegelburg sagt: „Der DLV wird schon eine gute Entscheidung treffen. Wenn er mich nominiert, ist es gut. Wenn nicht, ist das auch kein Weltuntergang.“ Die Rolle des Viertplatzierten scheint ihm auf den Leib geschneidert zu sein. Nur einmal, im Jahr 2004, als es um die Olympia-Qualifikation ging, habe er sich ein bisschen geärgert, mal wieder Vierter bei den deutschen Meisterschaften geworden zu sein, bekannte er. Dass der Name Spiegelburg damals dennoch auf den Startlisten von Athen zu lesen war, hat er seiner kleinen Schwester Silke, ebenfalls mit dem Stab unterwegs, zu verdanken.

Dabei ist Richard Spiegelburg keineswegs ein unbeschriebenes Blatt: In jungen Jahren galt er als aufstrebendes Talent. Neben dem Titelgewinn bei der Studenten-WM, der Universiade 1999, wurde er bei der WM 2001, als man ihn einmal mitgenommen hatte, Sechster. „Richard ist so etwas wie mein Angstgegner“, gibt Börgeling unumwunden zu. Er sei immerzu ein großen Fragezeichen, seine Leistung überhaupt nicht einzuschätzen. „Und plötzlich, meistens bei den deutschen Meisterschaften, ist er da.“ Bei der EM räumt er allerdings dem Kornwestheimer Schulze die besseren Chancen auf einen Finaleinzug ein. Auch Tim Lobinger hat ein Herz für den jungen Schwaben. „Für Fabian wäre es eine Katastrophe, wenn er zu Hause bleiben müsste.“

ALEXANDRA KIESSLING