Bilder für alle

Allmachtsfantasien der Kunst: Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich untersucht, welchen Bildern eine universale Wirkung zugetraut wurde

VON MICHAEL RUTSCHKY

Im Jahr 2000 machte sich Wolfgang Ullrich, Jahrgang 1967, den zuständigen Kadern bekannt durch seine Beschreibung mächtiger Männer, die sich mit Vorliebe im Vordergrund mächtiger Kunstwerke abbilden ließen, wobei deren Macht, wie Ullrich zeigte, auf diese überfließen sollte („Mit dem Rücken zur Kunst – Die neuen Statussymbole der Macht“, Wagenbach Verlag).

2003 erfreute uns Ullrich mit dem Sammelband „Tiefer hängen. Über den Umgang mit der Kunst“, der in einem nüchternen Tonfall, weniger empört denn verwundert den Kulthandlungen und Andachtsübungen nachging, denen die bildende Kunst seit den Achtzigerjahren von Theoretikern ebenso wie Konsumenten mit solchem Nachdruck unterworfen wurde. Sie hatte sich zu so etwas wie dem ideologischen Zentralfetisch des späten 20. Jahrhunderts entwickelt, der die Kunstreligion, der das Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts anhing, beerbte und perpetuierte. Wolfgang Ullrichs Überlegungen, historisch ebenso wie aktuell bestens informiert, arbeiteten dem Projekt einer postreligiösen Kunstkritik zu, das hinter der Verhimmelung allmählich sichtbar wird.

Einer solchen postreligiösen Kunstkritik widmet sich auch Ullrichs neuer Band, der in 23 kurzen Kapiteln und anhand von äußerst heterogenem Material der Frage nachgeht, wieso welchen Manifestationen der bildenden Kunst eine universale Wirkung und Geltung zugetraut wurde, ganz unabhängig von ihrem Ursprungsort und ihrer Entstehungszeit.

Ullrich kommt auf Johann Joachim Winckelmanns Feier der griechischen Plastik ebenso zu sprechen wie auf das Kruzifix als sadomasochistisches Schockbild. Goethes Ideen zu einer durch Handel und Markt stimulierten Weltliteratur finden sich neben John Deweys Ideen zu einer umfassenden ästhetischen Erfahrung, wie sie unterschiedlichste Kunstwerke ermöglichen, Ideen, die der Unternehmer Albert Barnes in einem Museum zu verwirklichen versuchte, das er in Merion, Pennsylvania, für seine Angestellten und Arbeiter errichtete und von dem er sich segensreiche Wirkungen auf das Betriebsklima versprach. Der Universalismus von Richard Wagners Gesamtkunstwerk verschwistert sich mit Piet Mondrians auf die Menschheit als Ganzes zielender Farbfeldmalerei, deren Wirkung durch regelmäßige Jazzkonzerte noch gesteigert werden sollte.

Während der vergessene Philosoph Max Scheler vom Ersten Weltkrieg ein einigendes Grunderlebnis erwartete, das über die Grenzen der Nationen hinweg wirken und gewissermaßen die ästhetische Erfahrung substituieren sollte, widersprach dieser Globalisierungssehnsucht einzig Adolf Hitler. Er konnte sich Kunst nur völkisch begründet vorstellen; Internationalismus verkörperten Bolschewismus und Judentum, die wahre Kunst unterspülend. Doch nach dem Krieg setzte ebendieser Internationalismus seine Triumphe fort: in Clement Greenbergs Apotheose des Abstarkten Expressionismus als Endzustand der Malerei-Geschichte, in der regelmäßigen Ausstellung Documenta in Kassel, in André Malraux’ Konzeption eines imaginären Museums der Weltkunst.

Aber Wolfgang Ullrich vertieft sich auch in Bildungen, die man der Propaganda und Reklame und der Populärkunst zurechnet: Walt Disneys Mickey Mouse als heimlicher Weltherrscher; die sog. Stock Photography, deren Produkte für höchst unterschiedliche Werbezwecke in Brasilien ebenso wie der Schweiz einsetzbar sind; oder, ein besonders glücklicher Griff: die Ikonografie der Propagandabilder, mit denen die Zeugen Jehovas für das Paradies werben – wer je ihre Flugblätter oder den Wachtturm vor Augen hatte, wünschte sich schon lange eine kunstkritische Reflexion darauf.

So schreibt Wolfgang Ullrich auf 140 Seiten eine aus- und zugreifende Kunstgeschichte der letzten 500 Jahre. Das macht Probleme. So vergisst man über dem Reichtum der Einfälle und Beobachtungen oft, worauf Ullrich hinauswill. Dass die Documenta- Ausstellungen in Kassel seit den Fünfzigern so etwas wie eine Weltsprache der modernen Kunst vorführen wollten – war das einfach Hybris? Ist eine solche Weltsprache – wie sie auch dem Philosophen Otto Neurath mit seinen Piktogrammen und dem Fotografen Edward Steichen mit seiner kitschigen Show „The Family of Man“ vorschwebte – grundsätzlich unmöglich, weil der Kontext von Zeit und Ort immer dominiert? Woran erkennt man das? Muss man es erkennen? Was geht verloren, wenn sich Kunstwerke blindlings einem Anspruch auf globale Geltung anvertrauen? Auf welcher Folie formuliert Wolfgang Ullrich seine Kritik dieser Versuche zur Globalisierung?

So hat man zuweilen den Eindruck, das Buch sei noch gar nicht fertig, vielmehr eine Stoff- und Notizensammlung zu einem, das noch kommen soll. Wie gesagt: außerordentlich reich an Einfällen und Beobachtungen. Doch ohne den roten Faden, der sie zusammenhielte.

Wolfgang Ullrich: „Bilder auf Weltreise. Eine Globalisierungskritik“. Wagenbach, Berlin 2006, 138 Seiten, 19,50 €