Das Alter ist ein Weib mit vertrockneten Brüsten

DRAMAQUEENS Sie sind abhängig. Sie verlieren ihren Job. Sie hassen sich. Frauen empfinden ihre „besten Jahre“ als ihre schlimmsten. Ein Buch will die Revolution

„Ich aber sehe meinen früheren Kopf, den eine Seuche befallen hat, von der ich nicht mehr genesen werde“

Simone de Beauvoir

VON HEIDE OESTREICH

Es ist ein weibliches Drama. Wenn Frauen ihr Lebenskonzept auf eine lange Liebe mit einigen Kindern gebaut haben. Für die Familie auf vieles verzichtet haben. Sich vom Einkommen der Mannes abhängig gemacht haben. Und dann, so etwa mit 50, verlassen werden. Der Beziehungsmarkt für Frauen „in den besten Jahren“ ist eng. Sie sind schwer vermittelbar, Männer suchen sich oft jüngere Partnerinnen: Älterwerden ist nichts für Feiglinge. Bascha Mika, Publizistin und frühere Chefredakteurin der taz, hat ein Mutmachbuch geschrieben. Ein wohltuend politisches. Was macht diese Gesellschaft aus dem Altern der Frauen? Mikas These: Sie macht daraus ein Drama.

Das natürlich auch schon beschrieben wurde. Unsichtbar werden, im garstigen Beziehungsmarkt keine Schnitte mehr haben, kein Sex und die Wechseljahre – alles beleuchtet und problematisiert. Trotzdem kann man noch ein Buch darüber schreiben. Denn: Einen wirklichen Aufruhr gegen diese bescheuerten doppelten Standards, die seit Jahrhunderten an Männer und Frauen angelegt werden, hat es bisher nicht gegeben.

Bascha Mika fordert nichts weniger als ein Wiederaufbäumen der Frauenbewegung im fortgeschrittenen Alter. Im wohltuenden Gegensatz zu ihrem Buch „Die Feigheit der Frauen“ trennt Mika diesmal individuelle und gesellschaftliche Ebene klarer und wirft Frauen nicht mehr auf ihre persönlichen Kämpfe zurück. Im Gegenteil, wie die Gesellschaft das Alter der Frauen herstellt – „doing aging“ – ist diesmal der Hauptangriffspunkt. Denn an ihrem Alter können Frauen wenig ändern – auch wenn sie selbst Teil daran haben, wie das Alter gesehen wird: Auch sie übernehmen die Normen der Gesellschaft mehr oder weniger geprüft.

Aber ihr kollektives soziales Verschwinden ab einem gewissen Alter, das kann man ihnen selbst nicht allein ankreiden. Da ist es zu deutlich, wie Fernsehchefs zu einer „Verjüngung“ der Sendung drängen, deren Moderatorin gerade 50 Jahre alt geworden ist. Das spüren die anderen und gehen lieber selbst, bevor sie geschasst werden. Und die Entscheidung für ein Lifting? Ganz selbstbestimmt getroffen – und doch in höchster Not, weil man unbedingt noch mal zehn Jahre „Gesehenwerden“ gewinnen will. „Bis auf wenige Ausnahmen büßen Frauen mit jedem Lebensjahrzehnt ein Stück ihrer Würde ein“, sagt Lisa Ortgies, Moderatorin der Sendung FrauTV im Westdeutschen Rundfunk. Und diese Beobachtung bleibt meist ein Tabu, wie Moderatorin Luzia Braun erzählt: „Man kann als Frau diese Herabsetzung nicht ansprechen, ohne selbst zum Opfer zu werden.“ Ein Killersatz.

Wenn man nicht einmal über das Thema reden kann, was dann? Versprach die Emanzipation den jüngeren Frauen bessere Beziehungen und ein entspannteres Familienleben, so fragt man bei mancher Einlassung emanzipatorischer Koryphäen wie Simone de Beauvoir, warum sie in diesem Fall nicht mal die Klappe gehalten hat: „Die Menschen, die mir begegnen, sehen vielleicht nur eine Fünfzigjährige, die weder gut noch schlecht erhalten ist. Ich aber sehe meinen früheren Kopf, den eine Seuche befallen hat, von der ich nicht mehr genesen werde.“ So klingt Selbsthass.

Bascha Mika beschreibt den beschwerlichen Abschied von der Währung Aufmerksamkeit, auf die dann eben doch viele Frauen ihr Selbstbild gebaut haben. Als Partnerin für eine Menge Männer nicht mehr infrage zu kommen – vielen erscheint das wie eine soziale Ermordung. Die Angst vor dem Verlust der sozialen Stellung beim Verlust des Partners treibt Frauen mittleren Alters dazu, sich von ihrer Lebensversicherung, dem Mann, sehr viel gefallen zu lassen. Wenn dann auch noch der Partner verschwindet, bedeutet das nicht selten, dass Frauen sich von allem verabschieden müssen, was bisher ihre Identität ausmachte. Mika bestärkt die These der israelischen Soziologin Eva Illouz: „Die heterosexuellen Frauen der Mittelschicht befinden sich daher in der merkwürdigen historischen Lage, so souverän über ihren Körper und ihre Gefühle verfügen zu können wie nie zuvor und dennoch auf neue und nie da gewesene Weise von Männern dominiert zu werden.“

Illouz meint den fundamentalen Geschlechterunterschied, dass der Mann eine Zweitfamilie gründen kann, während die Frau – ja, was fängt die jenseits der Wechseljahre an? Eine Menge schöner Sachen, könnte man meinen, aber gesellschaftlich scheint das Wort privates Glück kurioserweise mit einem entbehrungsreichen Leben mit kleinen schreienden Ungeheuern unlösbar verknüpft zu sein.

Das Alter war schon immer eine Frau, ein altes Weib ohne Zähne und mit vertrockneten Brüsten, heißt es in Mikas kleinem kunsthistorischen Exkurs. In den Jungbrunnen des Malers Lukas Cranach etwa mussten nur die Frauen steigen, die Männer hatten das nicht nötig. Die Schönheitsindustrie spielte später ebenso ihre Rolle: Schönheit, das ist schon lange nicht mehr die schöne Seele, die sich langsam entblättert, nein, sie besteht nur noch aus dem Äußeren. Ein entfremdetes Körpergefühl von Jugend an ist die Folge.

Letztlich hängt der doppelte Altersstandard für Männer und Frauen an einem gesellschaftlichen Machtungleichgewicht. Warum ist eine Frau von der Zuwendung eines Mannes abhängig? Weil sie ihn angeblich braucht. Die Scheidungszahlen, die parallel zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit von Frauen steigen, zeigen allerdings: Wenn sie ihn ökonomisch nicht mehr braucht, ändert sich auch der Überbau.

Wirtschaftliche Selbstständigkeit, keine langen Babypausen, Männer in die Erziehung, mehr Gleichheit beim Vereinbaren von Beruf und Familie – handfeste politische Forderungen leitet Mika aus ihren Befunden ab. Aber sie plädiert auch für eine soziale Veränderung. Sie, die es gern knallig hat, nennt es „Revolution“. Warum redet niemand darüber, wie die Gesellschaft das Altern „herstellt“? Warum ist es in England und den USA normal, Altersdiskriminierung juristisch zu verfolgen – in Deutschland aber kaum? Bascha Mika hat eine gute Nase gehabt: In der Zeit alternder Babyboomer und Emanzen fehlte bisher die Debatte über die Diskriminierung alternder Frauen.

Nur sehr am Rande allerdings kommt bei ihr vor, was für viele Frauen heute selbstverständlich ist: ein Singleleben mit einem großen Freundeskreis und ohne Partner. Dieser Lebensentwurf scheint ihr fremd zu sein. Lediglich zwei Lesben tun bei ihr kund, wie schön es ist, ohne taxierende Männerblicke zu leben. Dabei kommen immer mehr Frauen auf den Geschmack, es sich ohne Mann schön zu machen. Oft sind es die, die sich eben schmerzhaft von männlicher Anerkennung freigemacht haben. Schade, dass Mika sie weitgehend übersieht. Denn gerade diese Frauen könnten so etwas wie ihr revolutionäres Subjekt bilden.

■ Bascha Mika: „Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“. C. Bertelsmann, 320 Seiten, 17,99 Euro