: Ein Krankenhaus für die Buddhis
VON MAREN MEIßNER
Die Erinnerungen an ihre erste Indienreise berühren sie noch heute. „Ich habe eine Wahnsinnsarmut gesehen“, sagt Hedda Blumenroth und schüttelt den Kopf. Sie legt ihre Stirn in Falten, scheint die Bilder von Slums und bettelnden Kindern Revue passieren zu lassen. „Die haben nichts, gar nichts“, sagt sie.
Die zierliche Frau mit den langen blonden Haaren sinkt tiefer in das Sofa und holt aus. Vor sieben Jahren reiste sie das erste Mal nach Indien, gemeinsam mit ihrem Mann Claus. „Unser Sohn ist Buddhist, der hat uns ein bisschen darauf gebracht“, gesteht die 66-Jährige. Das Ärzte-Ehepaar, das bis vor einem Jahr eine gynäkologische Tagesklinik in Duisburg betrieb, kehrte tief beeindruckt von der Urlaubsreise zurück. „Wenn Sie da mit Ihrem westlichen Aussehen irgendwo auftauchen, sind Sie sofort von 50 Menschen umringt, die die Hand aufhalten“, erzählt Claus Blumenroth. „Und manchmal liegen die Leute einfach auf der Straße, völlig entkräftet“, ergänzt seine Frau. Bereits auf der damaligen Reise hatten sie einen großen Medikamentenvorrat dabei, den sie den einheimischen Ärzten an Sammelstellen zur Verfügung stellten. „Wir waren nur drei Wochen da, die Medikamente waren aber schon nach einer Woche weg“, erzählt Claus Blumenroth und rauft sich die grauen Haare.
Die Reise veränderte das Ehepaar. Schon vorher hatten die Blumenroths für Hilfsorganisationen gespendet, ihre PatientInnen animiert, dies auch zu tun. „Wir haben es ja gut hier in Deutschland“, sagt Hedda Blumenroth. „In Indien sieht das ganz anders aus. Und weil wir das nicht mit ansehen konnten, mussten wir handeln.“
Das taten sie schließlich im vergangenen Jahr. Das Ehepaar gab Klinik und Praxis aus Altersgründen auf und beschloss, das Inventar komplett nach Indien zu verschicken. Warum? Schließlich hätten die beiden ein erholsames Seniorenleben führen können. „Ich glaube, das können wir nicht“, sagt Claus Blumenroth und lacht. „Nein, das ist nicht unser Ding“, ergänzt seine Frau.
Nachdem das Ehepaar im April letzten Jahres die Entscheidung getroffen hatte, das 5.000-Teile-Inventar von Praxis und Klinik zu spenden, musste noch die Frage geklärt werden, wem die medizinischen Geräte zugute kommen sollten. Wieder half Blumenroths Sohn, der die Verbindung zu buddhistischen Geistlichen herstellte. Diese empfahlen seinen Eltern, die Teile nach Nordindien zu bringen, um dort neben dem Gyuto-Kloster ein Krankenhaus aufzubauen.
Am Fuße des Himalaya soll nun das Gyuto Tantric University Hospital entstehen: ein Krankenhaus, das die dringend benötigte medizinische Grundversorgung für alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen sichern soll, mit einheimischen Medizinern und Krankenschwestern. „Im Moment ist das nächste Krankenhaus 250 Kilometer entfernt“, erzählt Claus Blumenroth. Seine Frau nickt, dreht an einer Strähne ihrer langen Haare. „Armut berührt mich immer sehr“, sagt sie schließlich. Da sei es doch ganz logisch, dass sie etwas dagegen tue. Hedda Blumenroth sagt das mit einer Überzeugung, die ihr Engagement wie das Normalste der Welt erscheinen lässt.
„Wir haben damals einen Verein gegründet, weil wir das alles über Spenden finanzieren wollen“, erzählt sie weiter. Seitdem ist Roter Lotus e.V. für die beiden so etwas wie ein Lebensinhalt geworden: Interviews für diverse Zeitungen, Internetauftritt, Publikationen in Fachzeitschriften. Sogar eine PR-Agentur haben die beiden beauftragt, um ihr Anliegen publik zu machen. Hedda und Claus Blumenroth selbst erzählen voller Elan von ihren Plänen, springen von einem Thema zum nächsten, ergänzen sich, fallen sich ins Wort, reden gleichzeitig. Von ihren Erlebnissen in Indien, von ihren Plänen für die Zukunft. Alles dreht sich um das Projekt, „daraus ziehen wir unsere Zufriedenheit“, sagt Hedda Blumenroth.
Im März dieses Jahres gingen die tausende Einzelteile der Praxis nach langwierigen Planungen schließlich auf die Reise. Ein Unterfangen, das sich als äußerst schwierig herausstellte. Sensible medizinische Geräte mussten durch verschiedene Klimazonen verschifft werden, vakuumverpackt und stoßgehemmt. Über Duisburg, Antwerpen und Rotterdam ging es durch den Suezkanal ins Rote Meer. In Bombay wurden die Container auf drei Züge verladen, in New Delhi schließlich endete die Reise vorzeitig. Zollbeamte bestanden darauf, das Transportgut zu öffnen und zu kontrollieren, auch wenn ausdrücklich nachgewiesen war, dass es sich um sensible Geräte handelt. Tagelanges Warten, Verhandeln, Dolmetschen. „Ich bin da vielleicht etwas unangenehm aufgefallen“, sagt Hedda Blumenroth, die den Transport gemeinsam mit ihrem Sohn begleitete. „Aber ich wollte ja, dass wir weiterkommen.“
Neun Tage und unzählige Verhandlungen später war es letztlich die indische Botschaft in Berlin, die dafür sorgte, dass der Transport weiterlaufen konnte. Schließlich trafen die LKW einige Tage später am Fuße des Himalaya ein. „Wir sind zwischendurch auch noch in eine Falle geraten“, erzählt Hedda Blumenroth fast beiläufig. Sie war mit ihrem Sohn und dessen Freundin in einem Jeep schon vor den LKW aufgebrochen, als die Straße plötzlich abgesperrt war. Der Fahrer erkannte die Situation, preschte durch die Sperre und musste einige Kilometer später einen platten Reifen wechseln. „Ich hatte keine Angst, ich habe nie Angst um mich“, sagt Hedda Blumenroth. Nur um ihren Sohn und dessen Freundin habe sie sich Sorgen gemacht. Sie lächelt.
Im Gyuto-Kloster angekommen, war die Freude groß. „Wir hatten es geschafft“, sagt Hedda Blumenroth. Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. Seit März lagern die Teile in einem Schuppen. „Das Land für die Klinik ist gekauft, jetzt brauchen wir dringend Geld, um sie zu bauen“, sagt Claus Blumenroth. „500.000 bis 600.000 Euro brauchen wir für den Bau und die laufenden Kosten.“ Geld, das durch Spenden aufgebracht werden muss. „Ohne Zuversicht läuft gar nichts“, sagt er auf die Frage, wie sie das Geld auftreiben wollen.
Man glaubt es ihm sofort. Nicht zuletzt, weil mittlerweile sogar der Dalai Lama seinen Segen gegeben hat. Stolz zeigen Claus und Hedda Blumenroth die Fotos von einem Besuch in Brüssel, wo sie den Dalai Lama vor einem Hotel trafen. „Hier“, Claus Blumenroth deutet auf ein Foto, „wird er noch von seinen Bodyguards abgeschirmt. Aber hier, da dreht er sich in unsre Richtung.“ Der 66-Jährige hat eine ganze Fotoserie geschossen: seine Frau mit dem Dalai Lama, sein Sohn, dessen Freundin, alle posieren, lächeln in die Kamera. „Wir stecken unsere ganze Energie in die Spendensammlung“, sagt er schließlich.
Wollen die beiden selbst einmal im Gyuto Hospital mitarbeiten? „Wenn, dann nur zeitweise. Wir wollen keine Verantwortung, wir sind nur die Geldsammler“, sagt Hedda Blumenroth.
Ihr Mann nickt, scheint darüber nachzudenken, wie er an weitere Spendengelder kommt. „Wir müssen auch endlich Firmen motivieren zu spenden“, sagt er schließlich. „Die werden dann auch dort erwähnt, das ist alles kein Problem.“ Seine Stimme klingt eindringlich. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.“ Auch Hedda Blumenroth nickt entschlossen.
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