: Muskelmäuse beim Marathontest
SPORT-DOKU Beat Gloggers „Gendoping – Die Mutanten greifen an“ (21.50 Uhr, Arte) zeichnet ein differenziertes Bild der ethischen Dimension von Doping und ordnet es in die allgemeine Kultur der Leistungssteigerung ein
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Sind sie schon unterwegs? Werden sie erst hergestellt? Werden sie den Sport zerstören? Mit dunkelsten Prophezeiungen startet Beat Gloggers Dokumentation über Gendoping. Die Athleten der Zukunft, heißt es da, haben ein Geheimnis: „Sie sind genetische Mutanten.“ Die Bilder zeigen eine Volleyballmannschaft beim Training. Sehen so Mutanten aus? Ein Dopingkontrolleur bittet einen Spieler, eine Dopingprobe abzugeben. Der muss seine Hose bis unter die Knie herunterlassen. Dann muss er 90 Milliliter in einen Becher pinkeln. Bringt eh nichts, wird den Zuschauern gesagt. Gendoping ist nicht nachweisbar.
Schlimm sei das, sagt der Biochemiker Theodore Friedmann. Er ist bei der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada für das Themenfeld Gendoping zuständig. Er ist wissenschaftlicher Antidopingkämpfer. Halb so schlimm, sagt dagegen der Bioethiker Andy Miah, der die technologische Weiterentwicklung von Sportlern als Teil der menschlichen Evolution sieht. Schon immer sei am Menschenmaterial geschraubt worden.
„Dann wird Sport Zirkus“, sagt Matthias Kamber, der Leiter der Schweizer Anti-Doping-Agentur. Er ist der institutionelle Antidopingkämpfer, der qua Amt den Glauben an einen sauberen Sport immer wieder aufs Neue verkünden muss. Auch er weiß nicht, was schon verwendet wird in einer Szene, in der es jede Menge Athleten gibt, die bereit sind, für eine Goldmedaille ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
In der Medizin hatte man sich viel versprochen von der Biogenetik. Marktreife Therapien gibt es indes kaum. Doch geforscht wird weltweit. Denn nicht nur Radsportler träumen von der unendlichen Ausdauer. Menschen, die an Muskelschwund leiden, werden meist nicht älter als 25 Jahre. Sie leiden an einem Gendefekt. Das Gen, das den Muskelabbau verhindert, ist verantwortlich für ihre Krankheit.
In Gloggers Film sieht man muskelbepackte Mäuse, die zu einem Marathontest in ein Wasserbecken gesetzt werden. Sie wurden mit einem Gen manipuliert, das die Produktion roter Blutkörperchen anregt, dem Epo-Gen. Sie werden nicht müde. Forscher haben Tiere genetisch so verändert, dass der Muskelabbau gebremst wurde. Die „Schwarzenegger-Mäuse“ haben längst Begehrlichkeiten in der Bodybuilder-Szene geweckt. Aber auch die Lifestyle-Industrie horcht auf. Denn auch bei Menschen ließe sich durch Eingriffe in die genetische Struktur der natürliche Muskelabbau im Alter verlangsamen. Ist das wirklich gut?
Die knallbunten Computeranimationen, die zeigen, wie Viren Gene in den Körper transportieren, wirken arg schulfilmhaft. Doch immer, wenn sich Beat Glogger der ethischen Dimension des Problemfelds Gendoping nähert, wird es richtig spannend. Andy Miah weist auf die Kultur der Leistungssteigerung in der Gesellschaft hin und fragt sich, ob man Sportlern verbieten dürfe, was man anderen zugestehe.
Und mit einem Mal sind es nicht mehr die durchgeknallten, leistungs- und dopinggeilen Athleten, die das Problem darstellen. Der Leistungssport an sich ist es, der die Sportler in die Arme der Pharmaindustrie und Biogenetiker treibt. Der wissenschaftliche Antidopingkämpfer Friedmann ist sich sicher, dass man, um Verletzungen schneller auskurieren zu können, Gendoping dereinst erlauben wird. Auch der institutionelle Antidopingkämpfer Matthias Kamber kann sich Gentherapie für verletzte Sportler vorstellen. Die Grenze zur verbotenen Leistungssteigerung müsse nur scharf genug gezogen werden.
Am Ende ist sie wirklich düster, die Erkenntnis, die aus dem Film zu ziehen ist: dass Schrauben am Sportler längst akzeptierte Realität – im Leistungssport ebenso wie im Breitensport. Darauf ein Bier! Und umschalten! In Barcelona läuft gerade die Leichtathletik-Europameisterschaft. Sind sie da schon unterwegs, die Mutanten?