piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wer, wenn nicht Juden?“

Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn erklärt, warum der Zentralrat der Juden sich trotz aller Spannungen lautstark solidarisch mit Israel erklärt. Das Land ist „unsere Lebensversicherung“

taz: Herr Wolffsohn, der Zentralrat der Juden zeigt (nun auch wieder in den Anzeigen einiger Zeitungen) viel Verständnis für die derzeitige israelische Politik im Libanon – ist diese Haltung und zum Teil vehemente Form, in der sie ausgedrückt wird, im Großen und Ganzen Konsens im Judentum in Deutschland?

Michael Wolffsohn: Mit Sicherheit, und das ist, in Anführungsstrichen, auch gut so. Wer, wenn nicht vor allem – aber bitte auch nicht nur – Juden, sollte Solidarität mit Israel bekunden? Das hat nichts zu tun mit der vom erzreaktionären Historiker Treitschke Ende des 19. Jahrhunderts unterstellten „Doppelloyalität“ der Juden. Wir Juden sind gute, engagierte Bürger unseres jeweiligen Staates und zugleich mit Israel, unserer „Lebensversicherung“, verbunden. Was ist an der Anzeige des Zentralrates „vehement“? Der Zentralrat der Juden drückt in dieser Anzeige unter anderem sein „tiefstes Bedauern über jedes Opfer der derzeitigen Eskalation aus“.

Finden Sie die Forderung des Zentralrats nach einem Rücktritt der Bundesministerin Wieczorek-Zeul, die das israelische Bombardement von Zivilisten im Libanon „völkerrechtlich völlig inakzeptabel“ genannt hatte, angemessen?

Frau Wieczorek-Zeul redet viel über Völkerrecht und internationale Politik. Sie betreibt beides eher unprofessionell und aus der Krähwinkel-Perspektive ihrer ins Alter gekommenen 68er Ideologie. In der Demokratie ist es aber Gott sei Dank erlaubt und möglich, auch Unsinn zu reden. Über den Rücktritt von Politikern entscheidet in der Demokratie am besten der Souverän, das Volk. Nebenbei: Wenn Frau Wieczorek-Zeul „Verhältnismäßigkeit“ im Kampf fordert, macht sie sich die so oft – und zu Unrecht kritisierte – Maxime „Auge für Auge, Zahn um Zahn“ zu eigen. Die bedeutet nämlich nichts anderes als „Verhältnismäßigkeit“.

Ist es nicht inkonsequent vom Zentralrat, einerseits stets zu betonen, dass er nicht als Sprecher der israelischen Regierung in Deutschland zu betrachten sei, andererseits nun so vehement die israelische Politik zu verteidigen?

Das eine schließt das andere doch nicht aus. Der Zentralrat ist nicht der verlängerte Arm Israels, aber warum soll, kann, darf er nicht „Solidarität mit Israel“ bekunden? Das gehört zur Meinungsfreiheit. Sollte sie nicht für den Zentralrat der Juden gelten?

Warum erwähnt der Zentralrat, auch in den Anzeigen, zwar die UNO-Resolution, die eine Entwaffnung der Hisbollah fordert, aber nicht die zwei, die seit 1967 den israelischen Abzug aus den besetzten Gebieten verlangt?

Ganz einfach: Weil Israel alle im Libanon besetzten Gebiete im Jahre 2000 geräumt hat, den Gaza-Streifen im vorigen Jahr, und Israels Regierung bereit ist, 95 Prozent des Westjordanlandes zu räumen.

Ist die Solidarität mit Israel als identitätsstiftendes Band im Judentum in Deutschland wichtiger geworden, weil es heute weniger gibt als früher, was Juden in Deutschland miteinander verbindet – man denke etwa an die Konflikte zwischen „Liberalen“ und „Orthodoxen“, Alteingesessenen und Zugewanderten?

Die von Ihnen angesprochenen Spannungen gibt es, sie sind dialektisch zu verstehen. An der grundsätzlichen Verbundenheit von uns Juden ändert das nichts. Wir streiten oft und heftig, wissen aber, dass wir zusammengehören und zusammenhalten wollen und müssen, nicht „nur“ der Rechtsextremisten wegen. INTERVIEW: PHILIPP GESSLER