: Todesstrafe für alle, die nicht täglich beten
Die Islamisten in Somalia haben dem Land Ruhe gebracht – aber auch ein Schreckensregime. Wo sie herrschen,wird streng nach islamischem Recht geurteilt. Gefährdet ist schon, wer sich ein Fußballspiel im Fernsehen anschaut
Mogadischu taz ■ Selbst gemäßigte Moslems atmeten vor ein paar Wochen auf, als die Milizen der Union Islamischer Gerichtshöfe (UIC) den letzten „Warlord“ besiegt und aus Mogadischu vertrieben hatten. 15 Jahre lang war die somalische Hauptstadt in der Hand unberechenbarer Clanchefs, die sich in ständig wechselnden Koalitionen bekriegten. Aus der einmal Perla di Somalia genannten Hafenstadt Mogadischu ist in dieser Zeit eine Ruinenstadt geworden, in der es keine geregelte Infrastruktur mehr gibt: Strom- und Wasserversorgung sind zusammengebrochen, die meisten Schulen haben geschlossen. Und Recht hatte derjenige, der die besseren Waffen besaß. Die täglichen Kämpfe zumindest sind nun erst einmal vorbei, denn die offenbar mit Hilfe arabischer Geldgeber und Kämpfer besser ausgerüsteten islamischen Milizen haben die Stadt unter Kontrolle.
Unter den Schießereien hatte vor allem die Zivilbevölkerung von Mogadischu zu leiden, da die ständig veränderten Frontlinien direkt durch die Stadt verliefen. Eine Fahrt von einem in ein anderes Stadtviertel war nur unter Lebensgefahr möglich. Wer den Milizen an ihren Checkpoints nicht die geforderte „Durchfahrtsgebühr“ bezahlte, konnte erschossen werden – ohne dass ein solcher Mord je gesühnt worden wäre.
Sofort nach ihrer Machtübernahme richtete die UIC Gerichte in allen Stadtteilen ein, die nach islamischem Recht (Scharia) ihre Urteile fällen. Gefahren drohen den Bewohnern Mogadischus jetzt von ganz anderer Seite: Einer der Gründer der UIC, Scheich Abdalla Ali, drohte wenige Tage nach der Machtübernahme in einem lokalen Radiosender, jeden Moslem zu töten, der nicht täglich zu Allah bete. In den vergangenen Tagen hatten die islamischen Milizen auch Städte in der Nachbarschaft von Mogadischu eingenommen. In Jowhar beispielsweise, rund 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegen, wurden elf Jugendliche öffentlich mit 40 Stockhieben ausgepeitscht, nachdem sie beim Rauchen von Marihuana erwischt worden waren.
Musik- und Kinoveranstaltungen wurden mittlerweile überall verboten. Als Jugendliche am Tag des WM-Fußballspiels zwischen Deutschland und Italien gegen die Schließung eines Kinos laut protestierten, wurden der Kinobesitzer Mohamed Hirsi Dhore und eine junge Frau von islamischen Milizen erschossen.
Unblutig endete dagegen eine Hochzeitsfeier in Mogadischu Anfang Juli, obwohl Milizen mit Maschinengewehren in die Luft feuerten und die Feier auflösten. Die Familie des Hochzeitspaares hatte eine Band bestellt – und das missfiel den neuen fundamentalistischen Herren der Stadt. „Sie nahmen uns die Instrumente ab, zerstörten einige davon und schickten uns nach Hause“, berichtet der Musiker Hayir Ali Roble in einer der letzten noch freien Radiosendungen der Stadt.
„Musik und Filme sind Teufelswerk“, findet Scheich Dahir Sheekhow, Vorsitzender eines der islamischen Bezirksgerichte. Darum säßen zurzeit mehrere Menschen im Gefängnis seines Distrikts. Sie wurden beim Filmeschauen ertappt.
Die UN hat Mogadischu zur „Zone 5“ erklärt, in der sich kein Mitarbeiter ohne ausdrückliche Genehmigung mehr aufhalten darf. Ausländische Hilfsorganisationen haben ihr Personal schon vor Monaten abgezogen und arbeiten nur noch mit einheimischen Kräften. Ausländer benötigen inzwischen die Erlaubnis der UIC, um sich in Mogadischu aufzuhalten. Auch Journalisten konnten nur noch unter Lebensgefahr aus Mogadischu berichten. Der schwedische Fernsehjournalist Martin Adler wurde erst im Juni in Mogadischu erschossen, als er versuchte, eine Versammlung von islamischen Fundamentalisten zu filmen.
Trotz der strengen Auflagen sind die meisten der rund 1,3 Millionen Einwohner Mogadischus erleichtert über das Ende der Kämpfe in ihrer Stadt. In der völlig zerstörten Altstadt türmt sich der Müll meterhoch, Lebensmittel und sauberes Wasser waren während der Kämpfe nur schwer zu erhalten. Eine medizinische Versorgung ist nur gegen Barzahlung zu bekommen.
Jetzt atmen die Bewohner auf und versorgen sich mit Waren, die mit kleinen Booten aus Dubai ins Land geliefert werden. Die meisten sind allerdings skeptisch, dass die Ruhe lange halten wird. Der erst vor wenigen Tagen als letzter „Warlord“ aus der Stadt gejagte Abdi Hasan Qeybdiid hat bereits angekündigt, seine Milizionäre zu sammeln und zurückzuschlagen. „Ich werde diese Horrorislamisten zum Teufel jagen“, kündigte er vor wenigen Tagen an.
PHILIPP MAUSSHARDT