: Das Dagobert-Duck-Syndrom
Vom Milliardär zum Philanthropen: Wenn Warren Buffet und Bill Gates ihr Vermögen an wohltätige Stiftungen übertragen, machen sie der staatlichen Fürsorge Konkurrenz
Wer die Marktwirtschaft konsequent betreibt, wird merken, dass ihm irgendwann der Sinn abhanden kommt. Das Prinzip des Gewinns, aus dem mehr Gewinn wird, kann irgendwann zum persönlichen Überdruss führen. Dem US-Milliardär Warren Buffett erging es so. So erfolgreich war er beim Geldanhäufen, dass er sich unlängst von 80 Prozent seines Privatvermögens trennte. Er hat es einfach verschenkt – an Microsoft-Gründer Bill Gates, der es nun in seiner Stiftung für wohltätige Zwecke anlegen soll. Es geht um 37 von insgesamt 44 Milliarden Dollar, an deren Besitz Buffett offenbar keinen Sinn mehr sah.
Diese Art Ennui tritt jedoch erst ein, wenn gewisse monetäre Grenzen überschritten sind. Unterhalb dieser Schwelle kann die Ökonomie des freien Marktes durchaus auf mancherlei Art sinnvoll sein. Herstellung und Verkauf von Produkten dienen dem Überleben, schaffen materielle Sicherheit und lassen den Menschen, wie Karl Marx einst feststellte, erst zum Menschen werden. Sie sind eine Quelle von Selbstbewusstsein, befriedigen die Neugier, machen Spaß und heben die Lebensqualität.
Dies alles und noch viel mehr kann Warren Buffett sich allerdings schon mit den 20 Prozent seines Vermögens leisten, die ihm noch geblieben sind, und damit seine Wünsche übererfüllen. Ein moderater Zinssatz von 6 Prozent führt dazu, dass die 7 restlichen Milliarden Dollar auf Buffets Privatkonten ihm pro Jahr 420 zusätzliche Millionen einbringen. Diese Geldvermehrung findet statt, ohne dass der Besitzer noch irgendetwas tun müsste. Und angenommen, globale Schicksalsschläge führten dazu, dass Buffets Restvermögen zu 99 Prozent vernichtet würde, so blieben doch immer noch 70 Millionen Dollar übrig, die jährlich 4,2 Millionen frisches Geld hervorbrächten.
Indem Buffett das meiste Geld verschenkt, erklärt er implizit, dass es für ihn keinen Nutzen mehr bringt – jenseits des Vermögens, das er ohnehin besitzt. Dieses Eingeständnis ist interessant, weil es die Logik des materiellen Wertesystems der europäisch inspirierten Welt in Frage stellt. Der Kapitalismus bezieht seine Kraft aus dem Versprechen, den individuellen, ökonomischen Gewinn und damit Nutzen für die Gestaltung des eigenen Lebens permanent zu steigern.
Offenbar führt sich diese Logik ab einem bestimmten Punkt aber selbst ad absurdum. Sie läuft leer. Noch mehr potenzieller Nutzen, mit noch mehr Geld finanziert, scheint dann keinen zusätzlichen praktischen Nutzen für das individuelle Wohl mehr zu haben. Im Gegenteil, es könnte sogar eher Schaden bewirken. Warren Buffett etwa begründete seine großzügige Spende auch damit, er wolle die Sprösslinge seiner Familie nicht dadurch verderben, dass er ihnen ein gigantisches Vermögen hinterlasse, was sie nur zum Faulenzen und Prassen verleite. Andere bekannte Philanthropen und Spender der jüngeren Geschichte wie John D. Rockefeller oder Andrew Carnegie haben ihre Motive ähnlich beschrieben.
Wenn aber kein individueller Zusatznutzen mehr erreichbar scheint, stellt sich den Erfolgreichen die Frage nach einer neuen Sinngebung. Um diese zu erreichen, müssen sie die Ebene wechseln. Sie springen von der privaten in die öffentliche Sphäre. Dort gibt es viel Gutes zu tun. Wer große Summen einsetzt, kann mit moralischem Gewinn rechnen, der den Spender aus der Masse der bloß erfolgreichen Unternehmer heraushebt. Dieser Versuch einer Sinngebung funktioniert besonders gut in den Zeiten, da den Staaten die Ressourcen beschnitten werden, die sie bräuchten, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Der bemerkenswerte Rollenwechsel, den Leute wie Bill Gates oder Warren Buffett vollziehen, führt sie aus ihrem privaten Leben heraus in eine öffentliche Funktion. Auf dieser neuen Basis konkurrieren sie mit dem Staat.
Die Vergleiche sind schon oft gezogen worden: Verstärkt durch Buffetts Finanzspritzen kann die Gates-Foundation künftig pro Jahr mit rund 3 Milliarden Dollar den vierfachen Betrag dessen einsetzen, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verfügung hat. Aufgrund ihrer Finanzkraft bestimmt die private Stiftung inzwischen zu einem gewissen Teil die Richtung der internationalen Gesundheitspolitik. Ihr Einfluss ist in mancher Hinsicht bereits größer als der nationaler und transnationaler Institutionen. Die Stiftungen entscheiden, welche Epidemie die schlimmste ist, welchen Menschen zuerst mit welchen Mitteln geholfen werden muss, ob es besser ist, zu impfen oder nachsorgende Medikamente zu entwickeln. Privatleute wie Bill Gates und Warren Buffett spielen Staat.
Dabei ist es ihnen selbst überlassen, ob sie sich einer Kontrolle unterziehen. Wer schlau ist, baut in seine Organisation Überprüfungs-, Lern- und Legitimationsmechanismen ein, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, es könnte etwas schief laufen mit dem vielen Geld. All das geschieht jedoch freiwillig – im Gegensatz zu staatlichen oder suprastaatlichen Organisationen, bei denen das Prinzip der demokratischen Kontrolle fest eingebaut ist.
Wenn die Wege der Einflussnahme auch lang und kompliziert sind, so ist die Politik der Weltgesundheitsorganisation doch rückgekoppelt an die nationalen Regierungen, die sich für ihr Verhalten in der WHO grundsätzlich vor ihrem demokratischen Souverän verantworten müssen. Einem derartigen Legitimationszwang ist die Gates-Stiftung nicht ausgesetzt. Ein wichtiges Problem besteht also darin, dass die privaten Stiftungen das Prinzip demokratischer Legitimation und Kontrolle in der öffentlichen Sphäre zurückdrängen. Dies aber ist von Nachteil, denn bei Angelegenheiten, die alle betreffen, sollten prinzipiell auch alle ein Mitspracherecht haben.
Um dem zu begegnen, bieten sich zwei – noch utopische – Wege an. Erstens sollten die Parlamente der Staaten, in denen die großen Stiftungen sitzen, Gesetze zu deren Kontrolle erlassen. Idealtypisch müssten Bill Gates und Warren Buffett verpflichtet werden, einen mit den relevanten gesellschaftlichen Gruppen besetzten Stiftungsrat einzurichten, der über die Politik der Geldvergabe wacht. In Konfliktsituationen zwischen den Interessen der Stiftung und den Anliegen staatlicher Organisationen wäre dadurch eine Vermittlung möglich, eine „global public policy“.
Zweitens sollte die Herausbildung sehr großer Vermögen, die offenbar nicht mehr sinnvoll zur privatwirtschaftlichen Profitmaximierung eingesetzt werden können, Anlass geben, neu über die Steuerpolitik nachzudenken. Anders noch als vor zehn Jahren sind internationale Steuern zur Finanzierung globaler öffentlicher Aufgaben kein Tabu mehr. So hat Frankreich gerade eine Abgabe auf Flugtickets eingeführt, um die Erlöse in seine Entwicklungspolitik zu investieren.
Eine internationale Vermögensteuer hätte – aus nachvollziehbaren Gründen – viele Gegner, aber einen entscheidenden Vorteil: Sie würde auf Geld erhoben, dass noch einer sinnlosen Aufgabe harrt. HANNES KOCH
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