: „Wir wissen nicht, wie Schulbücher wirken“
Offenkundige Klischees werden nur noch selten vermittelt, sagt Schulbuchforscherin Verena Radkau
taz: Frau Radkau, welches Heimatbild vermitteln Schulbücher?
Verena Radkau: Unser Institut arbeitet nicht mit Büchern aller Fächer, sondern mit besonders ideologieträchtigen: Geschichte, Politik, Sozialkunde und Deutsch als Fremdsprache. Hier sind landeskundliche Teile drin, in denen es in der Tat noch heute zum Teil Klischees gibt, die man aber auf den ersten Blick nicht erkennt. Es gibt für Bundesländer – wie NRW oder Sachsen – immer spezielle Ausgaben, die Heimatkunde aber nicht so betreiben, wie es sie früher einmal gab.
Welche Klischees werden in den Büchern transportiert?
Heute ist man in dieser Hinsicht schon sensibilisiert. Aber zum Beispiel fällt mir ein, dass in einem ansonsten „politisch sehr korrekten“ Sozialkundebuch zum Thema Migration eine Schülercollage abgedruckt war, auf der ein – offenbar türkischstämmiges – Mädchen mit Kopftuch zwischen den Stühlen sitzt. Die Autoren wollten politisch ganz korrekt auf die Integration hinweisen. Es werden aber immer wieder solche Bilder vom „Anderen“ durch die Hintertür transportiert. Offenkundige Klischees findet man dagegen nur noch selten – im Gegensatz zu früher.
Welche Wirkung haben Schulbücher denn auf das Heimatgefühl der SchülerInnen?
Wir haben da ein echtes Problem. Es gibt sehr wenige empirische Untersuchungen, die aufzeigen, was denn überhaupt in den Köpfen der SchülerInnen vorgeht. Wir gehen von bestimmten Hypothesen aus, wie gewisse Inhalte und Darstellungsweisen dies oder jenes bewirken sollten. Was wirklich passiert, wissen wir nicht genau. Hier gibt es ein Defizit. Es ist methodisch sehr schwierig zu analysieren, welche Wirkung ein Schulbuch hat, da es ja nur ein Faktor der Bewusstseinsbildung der SchülerInnen ist. Die Lektüre des Schulbuches spielt dennoch eine gewisse Rolle, was das Heimatgefühl angeht. Ich kann mir vorstellen, dass das gerade bei jüngeren Kindern der Fall ist.
In Dortmund wird neues Schulmaterial eingeführt, um das Bild Dortmunds zu revidieren. Was halten Sie davon?
Ich finde das ist eine gute Sache. Gezielt ein neues Licht auf eine Klischee belastete Stadt zu werfen, weckt bei den SchülerInnen Aufmerksamkeit, und ihnen wird bewusster, welche Klischees es überhaupt gibt. Die sind wahrscheinlich unhinterfragt in den Köpfen – besonders bei jüngeren Kindern, die das als selbstverständlich aufnehmen.
In Bezug auf ganz Deutschland: Wird über Schulbücher auch versucht, Patriotismus zu wecken?
Schulbücher in Deutschland sind dezidiert gegen jeden Hauch von Nationalismus und damit auch von Patriotismus – aus historisch nachvollbaren Gründen. Ein Schulbuch, das zum Patriotismus aufruft, würde sicher nicht zugelassen. INTERVIEW: DARIA EAMERI