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Archiv-Artikel

Merkels Fakultät wird weggekürzt

SACHSEN Wissenschaftspolitik mit der Abrissbirne: Um zu sparen, sollen in Leipzig die Fachbereiche Theaterwissenschaften, Archäologie und Physikalische Chemie dichtgemacht werden

Leipzig empfindet sich als Sparschwein unter den sächsischen Universitäten

DRESDEN taz | „Wir sind gekommen, um zu bleiben!“ Das Protestplakat am Leipziger Institut für Theaterwissenschaft hängt direkt gegenüber dem Rektorat der Universität. Das historische Gebäude liegt außerdem nur hundert Meter von der Nikolaikirche entfernt, einem Brennpunkt der Revolution 1989 in der DDR. Ihr verdankt der erst 1993 gegründete Studiengang indirekt seine Existenz. Doch nun soll er handstreichartig geschlossen werden. Es ist nicht die erste Schließungsrunde in Leipzig, die unter dem Druck des Stellenabbaus in Sachsen und der prekären Hochschulfinanzen in Ostdeutschland zustande kommt.

Ein bisschen hilflos wirkte Universitätsrektorin Beate Schücking, als sie die fällige Selbstverstümmelung erläutern sollte. Sie sprach von einem „für die gesamte sächsische Hochschullandschaft schmerzhaften Prozess“. Gemeint ist der 2010 von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Abbau von zunächst 288 festen Hochschulstellen bis 2016. Bis 2020 sollen es sogar insgesamt 1.042 sein, etwa jede neunte fiele weg. Für Leipzig bedeutet das Jahr für Jahr 24 unbefristete Stellen weniger. Wie andere Hochschulen auch will die Leipziger Uni nicht mit dem Rasenmäher kürzen, sondern ausgewählte Studiengänge schließen. Die Pharmazie musste schon daran glauben, wogegen sogar das Sächsische Sozialministerium intervenierte. Nun trifft es die Theaterwissenschaften, die Archäologie und die Physikalische Chemie. Dort studierte einst Kanzlerin Merkel.

„Welche Studiengänge verändert werden, liegt in der Verantwortung der Hochschulen selbst“, lobt die parteilose Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer das so genannte Hochschulfreiheitsgesetz in Sachsen. Hochschulpolitiker Holger Mann von der oppositionellen SPD nannte das im Landtag die „Autonomiefalle“. Erst im Dezember war mit viel Getöse eine Zuschussvereinbarung zwischen der Staatsregierung und den sächsischen Hochschulen unterzeichnet worden, die zwar bis 2016 Planungssicherheit gibt, aber auch den Stellenabbau festschreibt. Gründe sind der Spardruck des Finanzministeriums wegen der schrumpfenden ostdeutschen Landeshaushalte, aber auch unrealistische Annahmen über einen Rückgang der Studierendenzahlen.

Auch Rektorin Schücking räumte ein, dass die zur Schließung vorgesehenen Studiengänge gut nachgefragt sind. Mit mehr als 7.000 Studienanfängern verzeichnete die geisteswissenschaftlich orientierte Leipziger Uni im Herbstsemester einen Allzeitrekord. Man müsse leider unter dem „Spardiktat“ nach Stärken und Schwächen und „abzuschmelzendem Speck“ suchen, meinte die Rektorin. Archäologie könne man auch in Halle studieren. Die benachbarte Hochschule für Musik und Theater biete ersatzweise auch einen Dramaturgie-Studiengang.

Bei den Theaterwissenschaften, die man deutschlandweit sonst nur noch in Berlin studieren kann, ist man sauer über den unabgestimmten Alleingang des Rektorats. Der geschäftsführende Direktor Günther Heeg vermutet, dass nicht fachliche Gründe für den Schließungsbeschluss ausschlaggebend waren, sondern der Umstand, dass drei der vier Professuren bis 2020 auslaufen. In der Fachschaft kursiert die hoffnungsvolle Verschwörungstheorie, man habe die 277 Studierenden der Theaterwissenschaft ausgewählt, um wegen des erwarteten großen Widerstands vom Beschluss wieder zurücktreten zu können. In der Tat sind aus der Leipziger Theaterszene und darüber hinaus flammende Proteste eingegangen.

„Wir nähern uns einem Punkt, wo man schon nicht mehr von einer Volluniversität sprechen kann“, sagt der studentische Senator Michael Naber. „Da ist nichts mehr abzuspecken.“ Leipzig empfindet sich als das Sparschwein der sächsischen Hochschullandschaft. Denn wegen ihres Erfolgs bei der Exzellenzinitiative bleibt die Dresdner Uni für fünf Jahre von Stellenkürzungen verschont. Von Schorlemer verweist hingegen darauf, dass Sachsen ein Drittel seines Haushalts für Bildung und Forschung verwende und erinnert an 300 befristete Stellen aus dem so genannten Überlastpaket.

Was sie nicht erwähnt, sind 86,3 Millionen Euro Bundesgelder, die nach Angaben des Bundesbildungsministeriums im Rahmen des Hochschulpakts allein 2013 nach Sachsen geflossen sind. Der Bund zahlt, wenn im Gegenzug die ostdeutschen Länder ihre Studienkapazitäten bis 2015 konstant halten. Das gelingt auch, allerdings nur durch ständiges Fahren auf Überlast dank der enormen Nachfrage.

MICHAEL BARTSCH