Hals über Kopf ins Nichtschwimmerbecken

Die Medizinische Hochschule Hannover meldet mehr Wirbelsäulenverletzungen durch Badeunfälle. Besonders Jugendliche gehen ein hohes Risiko ein. Die Gründe: Sonne, Alkohol, Leichtsinn. Ein neuer Trend ist das nicht

Baggerseen und Strandbäder wurden in den letzten Wochen von einer Welle gefährlichen Leichtsinns erfasst. Professor Christian Krettek von der Medizinischen Hochschule Hannover verkündete Anfang der Woche, dass die Badeunfälle mit Verletzungen im Halswirbelbereich 2006 dramatisch zugenommen haben. Alkoholkonsum und sonnenbedingte Risikobereitschaft haben in den letzten Wochen schon mehr Patienten mit Verdacht auf Querschnittslähmung ins Krankenhaus gebracht als in den vergangenen Jahren zusammen. Besonders Jugendliche würden alle Warnungen in den Wind schlagen und oft stark alkoholisiert in unbekanntes Gewässer springen.

Martin Janssen, Pressesprecher der DLRG sieht den Grund für diesen unnatürlich sprunghaften Anstieg der schwerwiegenden Verletzungen weniger im Alkoholgenuss als in der abnormen Witterung dieser Tage. „Die Hitze und der Wunsch nach Abkühlung fördern den Leichtsinn. Die Leute denken weniger nach, wenn sie schwimmen gehen.“ Der Drang nach Instant-Erfrischung lässt also bei vielen jegliche Vorsicht verdunsten. Kopflos und spontan wird der direkte Weg ins Wasser gesucht.

Was passieren kann, wenn die Vorsicht schon vorher baden gegangen ist, weiß Dr. Gerhard Exner, Chefarzt am Querschnittsgelähmten Zentrum Hamburg. Trotz der Gefahr am Baggersee widerspricht er Janssen und Krettek deutlich. Es handele sich vordergründig um eine falsche Auslegung der Statistik. Die Zahl der Querschnittslähmungen durch Badeunfälle habe sich seit dreißig Jahren nicht verändert. „Der Anteil der Lähmungen, die durch Verletzungen beim Baden entstehen ist durchgehend bei vier Prozent geblieben.“ Kein Grund zur Panik, denn Exner erklärt, worauf die alarmierende Entwicklung zurückzuführen ist: „Bei einer Hitzewelle wie in den vergangenen Wochen steigt die Anzahl solcher Vorfälle an, wird jedoch im Laufe des restlichen Jahres wieder ausgeglichen.“ Obwohl er nicht ganz so schwarz malt wie sein Kollege aus Hannover, sieht Exner ein Defizit in der Aufklärung. „An jedem Baggersee und in der Schule müsste darauf hingewiesen werden, dass man nicht kopfüber in unbekanntes Gewässer springen darf.“ Dass auch solche Warnungen nicht ernst genommen werden, da Baden mit Risiko ein über Jahrzehnte verwurzeltes Sommerverhalten ist, weiß auch Exner: „Da, wo sich die Jugendlichen heute verletzen, sind doch schon ihre Väter reingesprungen.“ Lucas Vogelsang