: Tragische Travestie
WIEDERVERÖFFENTLICHUNG Stig Dagermans nachtschwarze Burleske „Schwedische Hochzeitsnacht“
„Gibt es einen schöneren Egoismus als den des Lesers, der bei der Lektüre Trost, Glück und Heiterkeit sucht?“, fragt der Eichborn Verlag potenzielle AbonnentInnen der „Anderen Bibliothek“ auf einer Werbekarte, die dem jüngsten Band der Reihe beiliegt, Stig Dagermans „Schwedische Hochzeitsnacht“. Ein zartes, edel geprägtes Spitzenmuster kleidet festlich den zart violett schimmernden Bucheinband. Ein wunderschöner Band. Doch Trost, Glück und Heiterkeit sind hier schrecklich fern.
Dieser Roman, der 1949 erstmals erschien, sollte der letzte sein, den Dagerman schrieb. Im Jahr 1952 gelang es ihm, sich das Leben zu nehmen – nach einer mehrjährigen von Schreibblockaden und Selbstmordversuchen geprägten Periode, in der er keines seiner angefangenen Projekte zu Ende brachte. Er wurde 32 Jahre alt.
Ein dunkles, gleichsam nachtsichtiges Porträt eines schwedischen Dorfs ist „Schwedische Hochzeitsnacht“, dessen erzählte Zeit genau einen Tag und eine Nacht umfasst, vor allem die Nacht nach der Hochzeit auf dem Dorfe, in der die Hochzeitsgäste nicht nach Hause gehen, sondern sich noch alkoholisiert auf dem brautelterlichen Hof herumtreiben, während die sozialen Fesseln auf seltsame Weise gelockert sind. Burleskenmaterial das Ganze, im Grunde genommen: der Betrunkene in der Regentonne, das Pokerspiel im Freien, die Entjungferung im Getreidefeld, der Running Gag, bei dem immer wieder gegen die Deichsel des Mähdreschers gefahren wird. Und erst der Brautring, der aus einer Laune heraus an den falschen Finger geraten ist und nicht mehr abgeht!
In alten Filmkomödien gehört so etwas zum Standardrepertoire. Ein vertrauter Handlungsfundus, der hier jedoch nicht in Gestalt einer Bauernkomödie auftritt, sondern als deren tragische Travestie. In dieser nachtsichtigen Welt ist sogar das Komische stets auch äußere Gestalt für das darunter liegende existenzielle Drama. Die äußeren Zeichen sind bei Dagerman vieldeutbar. Allein in dem Sofa etwa, das in Ermangelung eines Rücksitzes von den bereits vor der Trauung betrunkenen Männern als Brautsitz auf die Ladefläche eines Autos gehievt wird und auf dem sich sofort ein Huhn niederlässt, lässt sich vieles gleichzeitig sehen: ein Symbol der Unbehaustheit, doch auch ein Hort der Beständigkeit im unbeständigen Leben, eine Metapher für die Heirat oder auch (in dem Huhn) für die Frau an sich. Und es ist dabei eben auch ein echter, bescheidener Quell der Komik.
So sind die Dinge, die Dagerman beschreibt, niemals nur sie selbst, sondern stets finden sie sich eingebettet in ein Netz vielfältiger Bezüge und Deutungsmöglichkeiten, in ein schillerndes Feld unterschiedlicher Assoziationen. Die Nähe des Autors zum Symbolismus ist noch spürbar, auch wenn dieser Roman sich zumindest auf der Handlungsebene einem realistischen Erzählen annähert. Die symbolgeladene Komik, die einzelne Handlungselemente transportieren, kontrastiert schmerzhaft mit der verzweifelten inneren Verfassung der Personen: der stumpfen Schicksalsergebenheit der Braut, die, schwanger von einem, der nicht da ist, den Schlachter nehmen muss. Dem Neid ihrer Schwester, die, mit einem unehelichen Kind geschlagen, das sie hasst, in Schande eine alte Jungfer werden muss. Der hilflosen Eifersucht ihres Bruders, dessen Geliebte ihn mit dem Schlachter betrogen hat.
Im Laufe der alkoholseligen Nacht wird so manches Trauma im Suff ertränkt, so manches Auto gegen die Wand gefahren. Doch hier, in dieser falschen Komödie, die das Leben ist, wird niemand erlöst werden. Das kann nur der Tod.
KATHARINA GRANZIN
■ Stig Dagerman: „Schwedische Hochzeitsnacht“. Aus dem Schwedischen von Herbert G. Hegedo. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 282 S., 32 Euro