: Karlsruhe fordert die EU heraus
JUSTIZ Die Verfassungsrichter halten den unbegrenzten Ankauf von maroden Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank für rechtswidrig. Vor ihrem Urteil fragen sie aber noch den Europäischen Gerichtshof
■ Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts löste am Freitag nur für kurze Zeit Unsicherheit an den Börsen aus. Ein Frankfurter Händler hielt es für unwahrscheinlich, dass der Beschluss der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen am Ende tatsächlich gekippt wird. Der deutsche Aktienindex DAX drehte nur kurz ins Minus und stand am Nachmittag 0,5 Prozent höher als am Donnerstag. Der Kurs des Euro stieg auf 1,3574 Dollar. (dpa/taz)
AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH
Das Bundesverfassungsgericht stellt die Eurorettungspolitik infrage. Das Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) sei wohl eine „offensichtliche und bedeutsame Kompetenzüberschreitung“ der Bank, heißt es in einem Beschluss, der am Freitag veröffentlicht wurde. Bevor Karlsruhe aber die deutsche Politik zu Gegenmaßnahmen verpflichtet, wird nun zunächst der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg um Stellungnahme gebeten. Das Bundesverfassungsgericht legt damit erstmals dem EuGH eine Rechtsfrage vor.
Die EZB hatte 2012 ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen angekündigt. Die Zentralbank will dabei Anleihen von Krisenstaaten kaufen, die sich zugleich einem Strukturanpassungsprogramm unterwerfen. Bisher wurde das Programm nicht gestartet, doch die bloße Ankündigung hatte die Finanzmärkte beruhigt. Gegen diesen EZB-Beschluss liegen mehrere Verfassungsbeschwerden vor, unter anderem von Peter Gauweiler (CSU) und den Linke-Abgeordneten im Bundestag.
Die Europäische Zentralbank ist nach den EU-Verträgen eigentlich nur für Geldpolitik zuständig, das heißt die Wahrung der Preisstabilität. Darauf beruft sich die EZB auch beim Ankaufprogramm. Solange die Finanzmärkte von einzelnen Eurostaaten hohe Zinszuschläge verlangten, könne die EZB mit ihren Zinssignalen keine Wirkung erzielen. Sie müsse daher notwendig zuerst die Märkte beruhigen und Vertrauen in die Zukunft des Euros schaffen. Die Kläger halten das für vorgeschoben.
Die Verfassungsrichter haben sich jetzt im Kern der Auffassung der Kläger angeschlossen. Sie gehen derzeit davon aus, dass das Ankaufprogramm der EZB „als eigenständige wirtschaftspolitische Maßnahme“ zu verstehen ist, die „offensichtlich“ die Kompetenzverteilung der EU-Verträge verletzt. Zudem verstoße das EZB-Programm gegen das Verbot, die Haushalte der EU-Staaten durch Kredite der EZB zu finanzieren. Und schließlich drohe im Extremfall – zur Abwendung von Staatsbankrotten großer EU-Staaten – eine „erhebliche Umverteilung“ unter den EU-Staaten, die einem vertraglich nicht vorgesehenen Finanzausgleich nahekäme.
Da es hier um die Auslegung von EU-Recht geht, hat Karlsruhe den Fall dem EuGH in Luxemburg vorgelegt. Dieser soll nun prüfen, ob das EZB-Programm gegen die EU-Verträge verstößt. Wenn der EuGH das EZB-Programm uneingeschränkt billigt, müsste Karlsruhe auch das EuGH-Urteil als Kompetenzüberschreitung werten. Bundestag und Bundesregierung würden dann aufgefordert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Der EuGH könnte aber auch das EZB-Programm einschränkend so auslegen, dass es nach Karlsruher Ansicht mit den EU-Verträgen vereinbar wäre. Die EZB dürfte dann zum Beispiel Anleihen „nicht in unbegrenzter Höhe“ ankaufen. Dem Programm würde damit wohl seine jetzige Wirksamkeit genommen.
Als dritte Möglichkeit bringt Karlsruhe auch noch eine Änderung der EU-Verträge ins Spiel. Wenn die Mitgliedstaaten unbedingt das EZB-Programm verwirklichen wollten, müssten sie der Zentralbank die entsprechenden Kompetenzen geben.
Die Entscheidung in Karlsruhe fiel mit sechs zu zwei Stimmen. Zwei Richter hielten schon die Klagen gegen das EZB-Programm für unzulässig. Karlsruhe dürfe sich daher um die EZB gar nicht kümmern. Die EU-Kommission, die Bundesregierung und Kläger Gauweiler begrüßten den Karlsruher Beschluss.
Bis zu einer Entscheidung des EuGH über das EZB-Programm dauert es üblicherweise rund eineinhalb Jahre. Wählt der EuGH ein Eilverfahren, ist eine Entscheidung über die Karlsruher Vorlage schon in wenigen Monaten möglich.
(Az.: 2 BvR 2728/13)