Apokalyptische Schlammschlacht

THEATER „Der Sturm“ ist die zweite Premiere im großen Haus des wieder eröffneten Hamburger Schauspielhauses. Aber mehr als ein kühles Lüftchen der Langeweile entfacht die Inszenierung nicht

Der Text wird nur als Folie benutzt, eigene Assoziationen wuchern zu lassen

Die neue Intendantin Karin Beier hat Mitte Januar mit dem Sieben-Stunden-Stück „Die Rasenden“ das frisch renovierte Hamburger Schauspielhaus wieder eröffnet – und zumindest bei den lokalen Medien einen Sturm der Begeisterung entfacht. Dem folgte nun als zweite Premiere im großen Haus „Der Sturm“ von William Shakespeare – aber die Inszenierung von Maja Kleczewska entfachte weder Begeisterung noch ein Empörungsgewitter, sondern nur ein kühles Lüftchen der Langeweile.

Dabei ist „Der Sturm“ ein zugleich heiteres und schwermütiges, märchenhaftes und poetisches Vermächtnis William Shakespeares. Mit Würde und philosophisch leiser Melancholie feiert Shakespeare in der Gestalt des Magiers Prospero Abschied von der Allmacht der Fantasie.

Klar, kaum einer erwartet da spätromantisches Zaubertheater. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man das Stück von heute aus liest, seine Aktualität mit scharfem Regiemesserchen seziert – oder den Text nur als Folie nutzt, eigene Assoziationen kreuz und quer auf der Bühne wuchern zu lassen.

Die Aufführung beginnt mit dem Ende. Die große Vergebung, Versöhnung, Verheiratung einstiger Feinde wird an einer Art Konferenztisch als Treffen heimtückisch Debiler gezeigt. Die Windmaschine auf der Bühne bläst.

Josef Ostendorfs üppig kraftloser Prospero muss sich immer wieder erbrechen – ihn ekelt es vor den Menschen und vor sich selbst. In ein steril weißes Einsamkeitszimmer zieht er sich zurück, ein gewichtig ermattetes Machttier im Rollstuhl, rekapituliert die Beweisführung seiner allumfassenden Abscheu und besingt schamvoll seine trostlose Schäbigkeit. Hat er doch einen Sturm entfesselt wider seine Feinde.

In Kleczewskas Inszenierung berichtet nun ein TV-Reporter von einem Atomkrieg. Ebenfalls abscheulich, dass Prospero eine Insel besetzt, ausgebeutet und die Ureinwohner versklavt hat. Kleszewska fällt dazu eine postkoloniale Urlaubsidylle ein: Prosperos in Hochsicherheitsmanie abgeschotteter Diktator-Palast ist auch ein Hotel für Sextouristinnen, die den billigen Lustkitzel suchen.

Es sind die Shakespeareclowns Trinculo und Stephano – in Gestalt zweier Frauen. Kathrin Wehlisch und Anja Lais spielen Proll-Comedy, trinken sich in Stimmung, bestellen den naturburschigen Ureinwohner Caliban aufs Zimmer, der sich aber als polnischer Callboy mit zu kleinem Penis entpuppt. Ein schwarzer Mann soll her. Caliban versucht es mit Schuhcremebemalung.

Zur Verstärkung schickt Regisseurin Kleczewska eine maximal pigmentierte Perkussionsgruppe auf die Bühne. Was nun wiederum Anlass ist, auf der Videoleinwand vom Elend afrikanischer Flüchtlinge zu berichten. Dem ist inhaltlich aber kaum zu folgen – im Trommel-Sex-Machtspiel-Tohuwabohu.

So flickwerkelnd geht’s immer weiter, bis Prospero beschließt, dass alles besser sei als dieses Dasein. Um dessen Hässlichkeit nochmals zu verdeutlichen, dann zu bestrafen und zu beenden, matscht Luftgeist Ariel alle und alles mit einer mehligen Mörtelpampe ein und streut geschreddertes Papier darüber – sozusagen Teeren und Federn als apokalyptisches Schlammschlachtfinale.  JENS FISCHER

nächste Aufführungen: 16. Februar, 15:30 Uhr; 23. Februar, 20 Uhr;