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Archiv-Artikel

Mandelbrot bis zum Abwinken

Konditormeister Burkhard Leu hat sich sein eigenes Reich geschaffen. In der „Marzipanworld“ zeigt er, dass man mit dem beliebten Konfekt alles machen kann. Vor allen Dingen gute Geschäfte

aus LübeckLUCAS VOGELSANG

Ein Land ganz aus Marzipan. Und unter der Decke blühen Mandelbäume in rosa und weiß. So sehen Kinderträume aus. Oder retardierte Nostalgieflashbacks. Doch das „Marzipanland“ ist keiner Grimm‘schen Märchenphantasie entsprungen. Es liegt im Lübecker Industriegebiet Roggenhorst, hinter den Fenstern eines unscheinbaren Flachdachbaus.

Vor der großen Glastür wartet der Willy Wonka von Lübeck. Burkhard Leu hat aus einer kleinen Marzipanmanufaktur sein Konfekt-Königreich erschaffen. „Meine Frau sagt, dass ich selbst schon aus Marzipan bin“, sagt er und lacht. Neben seiner leuchtend roten Kochmütze ist der Humor sein Markenzeichen. Seine einstündige Selbsterfahrungsshow, an deren Ende jeder Teilnehmer ein Marzipan-Abitur in Händen hält, garniert er mit kleinen Witzen und Anekdötchen. So berichtet er den Besuchern, was Männer hier als erstes aus Marzipan formen. Und preist dazu das „Mandelbrot“ in höchsten Tönen. Dabei spricht er so schnell, das sich die Worte gegenseitig zu überholen drohen.

Die Schwierigkeitsstufe der Bastelstunde ist dem Alter der Gäste angepasst. Alles jenseits des Kindesalters versucht die klebrige Masse in eine Rose mit Blattwerk zu verwandeln, der kleine Rest formt einen Hund. „Das was Sie hier machen, sieht besser aus als meine ersten Rosen. Mein Lehrmeister ist aber auch nach einem Jahr gestorben.“ Wieder lacht er dröhnend und reibt sich seine Hände. Zweimal täglich macht er die Show, fast jeden Tag in der Woche. Und am Samstag steht er für Busladungen auf Abruf bereit. Manchmal geht er sogar auf Tour und besucht Altersheime.

Wenn niemand an der süß-glänzenden Oberfläche kratzt, ist es eine vergnügliche Zeit mit Konditormeister Leu. Das Publikum kratzt nicht und ist begeistert. Marzipan und Büttenrede, das Konzept ist denkbar einfach. Leu mischt Stand-up mit Marzipanrezepten und fährt bei den Senioren in der ersten Reihe gut damit. Für die Kinder gibt er dann noch die Sendung mit der Maus und erklärt alles, was man so wissen muss über diese Süßigkeit, die ihn zum König eines eigenen Staates gemacht hat. Die Erwachsenen sind in hitzebedingter Apathie versunken.

Genau zu diesem Zeitpunkt, als der ein oder andere so weich ist wie die Masse in seinen Händen, beginnt der Kern der Veranstaltung. Der Marzipan-Onkel verwandelt sich in einen Marktschreier, zieht Waren aus einem Korb, präsentiert die Hausbar. Marzipan-Zaubermittel für alle Fälle und Anlässe. Marzipan in Fischdosen, Marzipan-Namensschilder für die Hochzeitsgesellschaft. Der Verkaufsraum des Marzipanlands nimmt immerhin ein Drittel der gesamten süßen Welt ein. Und unverhohlen gibt der Chef zu: „Das Geschäft läuft erst so gut, seit die Butterfahrten rund um Lübeck eingestellt wurden.“ Und so gilt auch hier: Nach der Show ist vor der Show. Während die Besucher zwanglos durch das Märchenland in Richtung Verkaufstheke geführt werden, beantwortet Leu gut gelaunt Fragen rund um seine Kunstwerke.

Die Kundschaft prüft immer wieder die Echtheit der Skulpturen und hinterlässt Fingerabdrücke auf dem Hut für Heide Simonis, den Leu mit einem Kaffeeservice verziert hat, „damit die mal wieder das ganze Geschirr beieinander hat.“

Der Lübecker mit Wurzeln in Königsberg ist zweifacher Guinnessbuchrekordhalter. Er hat Erwin erschaffen, das größte Schwein aus Marzipan, und aus 25.000 Pralinen hat er ein Kleid gebaut. Doch die Fotos und Plakate dienen nur noch der Erinnerung. „Das Schwein ist letzte Weihnachten gestorben und das Kleid hat eine Kundin zerstört, die wissen wollte, ob das wirklich Marzipan ist.“ Nun baut er ein neues. Besonders stolz ist Leu auf eine Kopie von Da Vincis Abendmahl, das er seiner Frau gebaut hat, „weil wir es in Mailand nicht sehen konnten“.

In einer gläsernen Vitrine steht zudem die einzige Geige aus Marzipan, auf der man wirklich spielen könnte. Wenn der lustige Herr Leu nicht die Seiten falsch eingebacken hätte. Um immer wieder solche Ideen zu verwirklichen und die Langeweile aus dem Land zu herauszuhalten, hat sich Leu nun eine professionelle Marzipandesignerin an seine Seite geholt. Spätestens bis zum Ende des Jahres wird er neue Kunstwerke aus Marzipan gebaut haben.

Denn dann beginnt die schönste Jahreszeit in seiner Welt. Kurz vor Weihnachten ist Wunderland-Klassenfahrt. Jeden Tag bringen über 20 Busse Seniorenvereine und Kegelclubs ins Marzipanland, das sich dann in einen Indoor-Weihnachtsmarkt verwandelt. Burkhard Leu wird mit seiner passend roten Mütze da sein und sein Marzipanbrot verkaufen.