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Archiv-Artikel

Die Liebe, diese dumme Nuss

VALENTINSTAG In einer Stadt, in der dauernd von Wiedervereinigung die Rede ist, steht außer Frage: Herzschmerz wartet an jeder Ecke. Die Partnerbörse „Im Gegenteil“ und eine Liebeskummer-Agentur sorgen für Abhilfe

Zweideutige Ausgehtipps

■ Da geht noch was: Glaube Liebe Hoffnung, Neufertstraße 16, 14059 Berlin, www.glaube-liebe-hoffnung-berlin.de Zu mir oder zu dir?, Lychener Straße 15, 10437, www.zumiroderzudir.com

■ Big LoveMaria und Josef, Hans-Sachs-Straße 5, 12205, www.mariaundjosef.com Liebling, Raumerstraße 36a, 10437, www.cafe-liebling.de

■ Ende Lass uns Freunde bleiben, Choriner Straße 12, 10119, www.ruf-mich-nie-wieder-an.de Ex’n’Pop Potsdamer Straße 157, 10783, www.exnpop.de

■ RacheBastard, Reichenberger Straße 122, 10999 Berlin

VON ANNE HAEMING

Ali hat sein Smartphone vor sich auf den Tisch gelegt und erzählt gestikulierend. Hinter ihm hängt eine Reihe Schwarzweißillustrationen, im Flur steht eine Batterie bunter Sneaker. Sonst ist seine Wohnung sehr klar und sehr weiß. Das Wort „Hope“ klebt in kleinen Druckbuchstaben an einer Wand. Der Typ mit der Glatze und dem Parka wohnt irgendwo hinter den Stalinbauten an der Karl-Marx-Allee.

Ali ist ein typischer Berliner. Er ist 30, aus Württemberg, arbeitet für einen Berliner Musikkonzern – und er ist Single. Er ist einer der 54,3 Prozent Berliner, die alleine leben.

Wie es bei Ali zu Hause aussieht, dass er gern mit den Händen erzählt, was für Klamotten er trägt, wo er wohnt und dass er auf der Suche ist, weiß man von der Berliner Partnerbörsenseite „Im Gegenteil“. Er ist einer von inzwischen 30 Singles auf dem Portal, das eine Mischung ist aus Wohnblog und Datingmarkt. Alles junge, hübsche Menschen zwischen Mitte 20 und Ende 30, Bildungsbürger, Kreativbranche, viel Parkett und Dielenboden, viel Weiß, kleine Küchen zum Hinterhof, und irgendwo hängt auch mal ein Hertha-BSC-Schal. Man könnte sagen: totale Berliner Hipster-Klischees.

Eine schöne Schnapsidee

„Wir haben uns nicht hingesetzt und gesagt: Wir machen eine Hipster-Seite“, sagt Jule Müller, die das Portal mit ihrer besten Freundin Anni Krahlisch-Pehlke Mitte November gestartet hat. Die Berlinerinnen spiegeln ihre Zielgruppe: beide knapp über 30, die eine mit blondem Dutt, die andere mit brünettem Flechtzopf. Nun sitzen sie in einer Eckkneipe im Neuköllner Schillerkiez auf tiefen Sofas und erzählen, wie es zu ihrem Geschäft mit der Liebe kam.

Es war eigentlich eine Schnapsidee, buchstäblich. Ein wenig angetütert saßen sie im Sommer abends zusammen. Müller war mal wieder gefrustet von Erfahrungen in den gängigen großen Datingportalen. Und Krahlisch-Pehlke, verheiratet, kämpfte mal wieder mit dem Gedanken: „Das ist eine Topfrau mit Topbildung. Dass sie Single ist, will mir nicht in den Kopf.“ Beide fanden: Es könne nicht sein, dass es nur diese Trashseiten gebe, die obendrauf Gebühren kosteten. Die Berlinerinnen haben Erfahrung: Sie haben in den letzten zehn Jahren öfter mal Freunde verkuppelt.

Sie recherchierten also, entdeckten nichts anderes – und beschlossen, es selbst zu machen. Deswegen heißt das Ganze auch „Im Gegenteil“: ein Mix aus „anders als sonst“ und „jetzt erst recht“. Diese Reaktion kommt auch von denen, die sich melden, um sich verkuppeln zu lassen. „Die sagen uns: Endlich etwas, das nicht peinlich ist“, berichtet Müller, „ohne diesen verzweifelten Touch.“

Das Prinzip: Die beiden fahren zu den Kandidaten nach Hause. Krahlisch-Pehlke schnackt mit den einsamen Herzen und schreibt später lässig-persönliche Profiltexte, Müller macht die Fotos. Grundregel eins: „Typen, die sich oberkörperfrei und mit Kuscheltier auf der Schulter bewerben, sortieren wir aus. Zu denen wollen wir ungern nach Hause“, sagt Krahlisch-Pehlke. Grundregel zwei: „Wir lassen in den Texten immer weg, warum jemand Single ist.“

Dass sie eine bestimmte Gruppe ansprechen, zeigt sich auch an den E-Mails: „Wir bekommen vor allem Anfragen aus Prenzlauer Berg, Neukölln, Friedrichshain und Mitte. Aus Charlottenburg, Schöneberg und so meldeten sich bisher wenige Leute.“ Bis zu 50 kommen pro Tag. Die beiden arbeiten mittlerweile nonstop an der Seite und haben ihre anderen Jobs aufgegeben. Geld soll über Kooperationen reinkommen, die Vermittlung selbst kostenlos bleiben, das ist ihnen wichtig. Eine Hamburger Dependance gibt es schon. Im Frühjahr folgen nun München und Köln, vielleicht expandieren sie auch noch in die Schweiz und nach Österreich. Die zwei sind in eine Nische gestoßen.

Dass sie mit ihrer Idee auch einen sensiblen Punkt getroffen haben, stellt jeder fest, der seinen Berliner Freundeskreis durchgeht und merkt: Die einen haben Familie, die anderen sind Single, seit Jahren. Dazwischen gibt es nichts. Manchmal steht dann die Frage im Raum, ob es hier schwerer ist als anderswo, weil Berliner sich scheinbar so ungern festlegen. Anni Krahlisch-Pehlke winkt ab: „Die Angst, etwas Besseres zu finden, gibt es überall.“

Doch, doch, es gebe etwas Berlinspezifisches, wenn es um die Liebe geht, findet die Stadtsoziologin Martina Löw von der Berliner Technischen Universität: „Man imaginiert immer, dass Berlin nicht ist, sondern noch wird. Hier lässt man sich nicht nieder und kommt zur Ruhe.“ Löw hat das Image von Städten untersucht. Ihre These: München steht für Liebe, Berlin eher fürs Abenteuer. München wirke eben sehr fertig, sagt sie. Hier habe man hingegen das Gefühl, noch etwas gestalten zu können. Und: „Dieses Loslegen ist auch ein erotischer Prozess.“

Dass Berlin einen sexy Ruf hat, ist nicht erst seit Wowereits zur Phrase geronnenem Spruch der Fall: „Berlin wurde schon um 1900 als verführerische Frau imaginiert. Es galt als Eldorado für alle sexuellen Praktiken“, sagt Löw. „Aber ob Berlin der erotische Hotspot ist, wage ich zu bezweifeln. Mein Eindruck ist, die anderen finden uns erotischer als wir uns selbst.“

Dabei ist die Stadt selbst allein wegen ihrer Geschichte mit ausreichend erotischen Komponenten versorgt: Man muss sich nur das Wort „Wiedervereinigung“ auf der Zunge zergehen lassen. Löw rückt den Gedanken etwas zurecht: „Es ist mittlerweile eine Ehe geworden“, vulgo: Die Luft sei raus. „Es gibt zwar noch Differenzen, aber man hat Routine im Umgang miteinander. Die aufregende Liebesstory ist vorbei.“

Martina Löw hat das Image von Städten untersucht: München steht für Liebe, Berlin fürs Abenteuer

Und alle wissen ja: Wenn diese Phase erst einmal erreicht ist in einer Beziehung, ist die nächste Krise nicht weit. Was die ost-westliche Ehe angeht, ist Elena Sohn vielleicht überfordert. Aber bei menschlichem Herzschmerz ist sie seit drei Jahren mit ihrer Agentur „Die Liebeskümmerer“ zur Anlaufstation geworden. „Viele, die Liebeskummer haben, suchen die Lösung in Ablenkung, versuchen, den Schmerz zu ersticken“, sagt sie. „Dabei ist es das Beste, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.“ Man solle die Krise als Chance begreifen. Die Mittdreißigerin weiß, wovon sie spricht: Sie gründete die Agentur, weil sie selbst eine herzzerfetzende Trennung hinter sich hatte. Als der Mann weg war, Arbeit unmöglich wurde, sie sich krankschreiben lassen musste für drei Wochen, merkte sie: Ihre Arbeit in der tollen Werbeagentur machte ihr keinen Spaß. Und es gab niemanden, der sich professionell um Fälle wie ihren kümmerte. Also beschloss sie, die Lücke selbst zu füllen.

Mit mittlerweile fünf Kollegen – außer ihr alles ausgebildete Therapeuten und Mediatoren – bietet sie das an, was die meisten brauchen, wenn sie verlassen wurden oder unglücklich verknallt sind: Menschen, denen man die ganze Geschichte noch mal erzählen kann. Die zuhören, wenn die eigenen Freunde längst genervt abwinken und stöhnen: „Nicht schon wieder!“

Bei den Liebeskümmerern läuft alles über E-Mail oder Telefon, buchen kann man alles zwischen einem und fünf Gesprächen oder auch nur drei E-Mails im Laufe einer Woche. Selbst Reisen für Herzschmerz-Geplagte bietet sie an. „Ich habe Geduld, weil ich ja selbst weiß, wie es ist“, sagt Sohn. „Ich sage aber auch: Jetzt ist es an der Zeit, mal rauszugehen und weiterzumachen.“

Auch anderen geht’s so

Viele schöpfen schon Hoffnung, wenn sie sehen, wo die Berliner Agentur sitzt: in der Pariser Straße, ausgerechnet. Mehr positive Assoziationen mit der Liebe, der dummen Nuss, geht nicht. Wem dieser Trost nicht reicht, dem hilft nur eines: zu wissen, dass es auch anderen hundsmiserabel geht, der Liebe wegen. Deswegen hat Sohn im Herbst ein Buch veröffentlicht, in dem sie mehr als zwanzig Geschichten von Frauen und Männern erzählt, die sich bei ihrer Agentur gemeldet haben. Der Tenor spiegelt sich im Titel des Buchs: „Schluss mit Kummer, Liebes!“

Und manchmal ist es eh am besten, sich einfach einen Neuen zu suchen. Elena Sohn findet zwar, dass Großstädte wie Berlin nicht unbedingt das beste Pflaster dafür sind: „Die Auswahl an möglichen Partnern ist zwar größer“, sagt sie, „andererseits gibt es eine größere Fluktuation.“ Bei „Im Gegenteil“ gibt es immerhin schon mal eine Vorauswahl. Übrigens: Unten rechts in der Ecke von Alis Foto steht: „sucht Girls“. Immer noch.

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