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Archiv-Artikel

Der Mann aus den Bergen

SCHÖNE MUSIK Dagoberts Musik ist weder Schlager noch Volksmusik oder reiner Synthie-Pop. Pathos ohne Kitsch ist die Formel für die Lieder des Mannes, die in der Einsamkeit der Schweizer Berge entstanden

Menschen, die sich entblößen, haben es häufig schwer, verstanden zu werden

VON SIMONE JUNG

Dagobert ist ein seltsamer Typ. Einer derjenigen, die kompromisslos ihren Weg gehen. Einer, der sich nicht verbiegen lässt. So schlug er einen Plattenvertrag von Universal Schweiz aus: „Das funktioniert nicht. Meine Musik ist komisch, und das soll auch so bleiben.“ Seine Myspace-Seite umfasst ganze zwölf Freunde: „Das interessiert mich nicht wirklich.“ Einen Auftritt beim „Musikantenstadl“ schmetterte er mit den Worten ab: „Die verstehen das nicht.“ Womit er vermutlich recht hat. Denn Dagoberts Musik ist weder Schlager noch Volksmusik oder reiner Synthie-Pop. In all diese Schubladen sollte der 28-Jährige schon gesteckt werden. Geschafft hat es keiner. Und das ist auch gut so. Denn Dagoberts Musik überzeugt, weil sie so ist, wie sie ist.

Dagoberts Eigensinn jenseits von gesellschaftlichen Konventionen zeigte sich schon früh. Direkt nach der Schule entschied sich der gebürtige Schweizer gegen ein normales Leben inklusive Ausbildung, Job und Beruf. Gegen den „ganzen Quatsch wie Bürgerpflichten“, wie er das selbst bezeichnet: „Die ersten 19 Jahre war nichts los in meinem Leben. Nur Schule. Langweilig. Danach wusste ich: Ich mache nur noch das, was mir Spaß macht.“ Diesen Weg verfolgt Dagobert bis heute mit großer Entschlossenheit. Spaß haben heißt in seinem Fall Musik machen. Angefangen hat alles im dunklen Proberaum einer befreundeten Rockband. Dort standen Instrumente, die der damals 19-jährige aus reiner Langeweile bediente.

Die Jahre in Panix

Später lebte Dagobert ohne Internet und Telefon in einer Hütte in einem Schweizer Bergdorf namens Panix in Graubünden. Aus den geplanten drei Wochen wurden fünf Jahre, in denen er über 100 Lieder schrieb. Die langen Jahre der Einsamkeit hoch oben in den Bergen prägten den damals erst 22-Jährigen. Nur wenige Male hatte er Besuch, und nur wenige Male fuhr er zurück in seinen Heimatort. Geld hatte er kaum, einmal im Monat ging er zum Einkaufen runter ins Dorf. Ein paar Säcke Reis sollten es sein, mehr nicht. Mit den gerade mal 25 Einwohnern hatte er keinen Kontakt, die Sprache romanischer Herkunft verstand er nicht. Er lebte rein für die Musik, nur mit sich und seinen Liedern.

Um nicht depressiv zu werden, begann er zu experimentieren. Er lotete die Grenzen seines Körpers aus. So war er tagelang in den Bergen unterwegs, ohne Essen, ohne Wasser. „Ich lebte wie ein Tier“, sagt er nüchtern. „Die körperlichen Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gemacht habe, sind intensiver als jeder Drogenrausch.“ Für sich und sein Leben weiß er heute: „Ich brauche nicht viel zum Leben.“ Eine Erkenntnis, die ihm die innere Ruhe gibt, seinen Weg zu gehen, und die nötige Sicherheit, jenseits der Gesellschaft leben zu können.

Das gilt auch für das Leben in einer Großstadt wie Berlin, wo er heute wohnt. Irgendwann war die Zeit auf dem Berg genug – nach 5 Jahren. Es kam die Zeit und das Bedürfnis, die Musik in die Öffentlichkeit zu bringen. Vor dem Hintergrund pfeifender Orgelmelodien und warmer Synthiesounds erzählt Dagobert beschwingt und doch ernst von großen Gefühlen und von der Sehnsucht danach. Das ist Pathos ohne Kitsch und Authentizität ohne Peinlichkeit. So singt Dagobert augenzwinkernd und mit der großen Gelassenheit eines Schweizers von den Affen im Zoo, den er mit seiner Geliebten besucht, um dann festzustellen: „Ob nach Athen oder Hawaii (die haben immer frei), das ist egal, ich will nur bei dir sein, und dann wird alles, alles fein.“ Die Orgelmelodie steigert sich dramatisch, und dann ist Schluss. Bam bam bam. Es ist alles gesagt.

Was zunächst naiv und banal klingen mag, erweist sich als entwaffnend ehrlich. Und immer wenn es ehrlich wird, dann ist die Grenze zur Peinlichkeit nicht weit. Man denke an Jochen Distelmeyer, Jens Friebe oder Max Müller. Auch Herr Dagobert fasst Gefühle in Worte, die sich keiner auszusprechen traut. Leiden wird verkörpert, Zweifel und Sehnsüchte werden auf den Punkt gebracht. Tabus gebrochen. Menschen, die sich entblößen, haben es häufig schwer, verstanden zu werden. Denn nicht jeder Zuhörer kommt mit solcher Konfrontation zurecht, die ihn auf sich selbst zurückwirft. In Zeiten, in denen die Wahrheit oft hinter der situativ zu spielenden Rolle zurücktritt, sind wahrhaftige Künstler umso bedeutender. Sie sprechen für uns.

Pathos und Hingabe

Nun kann man Dagoberts Musik sicher nicht als radikal bezeichnen. Die liebestrunkenen Lieder mitsamt ihren Texten erzählen voll Pathos und Hingabe von den großen Gefühlen vor jeder intellektuellen Bewertung. Den einen zerreißt eben die Liebe, den anderen die Gesellschaft. Dagobert hat die Liebe als Thema gewählt, sie ist sein Ventil, hier hat er etwas zu sagen. Jeden Tag ein Lied mehr, das ist sein Ziel. Und wer weiß, vielleicht steht am Ende nicht die Kunst als Erlöser da, sondern die Liebe selbst. Dagobert könnte ein neuer Poppoet im deutschsprachigen Raum werden. Und wenn wir mal ehrlich sind, dann wird sich ein jeder in den Texten irgendwo wiederfinden. Eine weitere Funktion der Kunst, die Dagobert mit Bravour erfüllt.