: „Sprachreisen sind multifunktional“
FREMDSPRACHEN In Deutschland boomt der Sprachreisen-Markt, auch für Kinder. Das Angebot ist schwer zu überblicken. Heiner Giese leitet eines der vielen Unternehmen und erklärt, worauf Eltern achten und was sie von diesen Reisen erwarten sollten. Bessere Schulnoten zum Beispiel nicht unbedingt
■ 55, ist Sozialpädagoge und seit 27 Jahren Geschäftsführer des Veranstalters Offaehrte Sprachreisen in Bremen.
taz: Herr Giese, je früher ich mein Kind auf eine Sprachreise schicke, desto besser – oder?
Heiner Giese: Nicht unbedingt. Das Kind muss sich selbst dazu in der Lage fühlen, dann sind die Umstände einzuschätzen. Es gibt sehr selbständige Kinder und natürlich ist es toll, wenn sie früh eine solche Reise machen, weil sie Sprachen viel schneller und nachhaltiger lernen. Bei einer Überforderung kann das Interesse an Fremdsprachen allerdings auch erlöschen. Deswegen müssen es sich Eltern genau überlegen, wann sie ihr Kind das erste Mal in so ein Abenteuer schicken.
Ab welchem Alter hat das Sinn?
Puh, frühestens ab sechs. Wir bieten in der Regel Reisen ab acht Jahren an; da gibt es unterschiedliche Programme.
Und zwar?
Es gibt ein steigendes Interesse an Familiensprachreisen mit den Eltern. Da können die Kids auch jünger sein. Denn sie befinden sich ja in einem sicheren, teils bekannten Umfeld. Sie trauen sich dann mehr. Die Eltern machen nebenher dann ebenfalls einen Sprachkurs oder begleiten lediglich ihre Kinder.
Wird Kindern heute nicht zuviel zugemutet? Sie sollen ihre Ferien zum Lernen opfern.
Das ist ein berechtigter Einwand. Grundsätzlich stimme ich zu, unsere Kinder stehen heute in der Schule unter hohem Leistungsdruck. Eine Sprachreise ist aber Lernen unter anderen Umständen. Sie sind nicht nur im Klassenzimmer oder pauken Vokabeln, sondern testen sich aus, gehen wandern, klettern, paddeln, lernen von anderen in einer fremden Kultur. Besonders in internationalen Schulen mit Gleichaltrigen aus verschiedenen Ländern kann man das gut beobachten. Small-Talk zum Beispiel ist etwas, was die Schule nicht lehren kann. Sprachreisen sind immer multifunktional. Das kann man wirklich nicht mit dem Schulstress vergleichen.
Viele Eltern schicken ihre Kinder aber bestimmt auf solche Reisen, damit sie besser in der Schule werden.
Stimmt, es ist aber anders, als sich das Eltern oftmals vorstellen. Der Sprachunterricht ist unterstützend zu verstehen, er kann die „Lücken des Lehrplans“ nicht ausfüllen. Wenn die Kinder aber motiviert sind und es für sie relevant ist, sich in einer Sprache zu verbessern, dann können Ergebnisse in der Schule durchaus zu sehen sein. Sie sollen auf diesen Reisen aber vor allem lernen, eine fremde Sprache im kulturellen Alltag anwenden zu können. Das ist ein ganz anderer Erfahrungshorizont, sofern die Reise gut läuft.
Und wenn sie schlecht läuft?
Nun ja, das kann man manchmal nicht verhindern. Erwartungen können enttäuscht werden, das Umfeld kann nicht adäquat sein. So kann man mit einer Gastfamilie nicht zurechtkommen. Nicht gut ist auch, wenn übereifrige Eltern ihre Kinder zu einer Sprachreise zwingen, damit sie ihr Englisch verbessern.
Kommt das denn oft vor?
Nicht mehr, in den 80er- und 90er-Jahren war das aber die Regel. Heute ist der Leistungsdruck von Kindern und Jugendlichen akzeptiert, meist wollen sie von sich aus solche Reisen machen und besprechen das mit ihren Eltern statt andersherum. Da hat offensichtlich ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden.
Wie unterscheiden sich gute und schlechte Anbieter?
Gerade bei Schülersprachreisen sollten die Eltern prüfen, ob es sich lediglich um einen Vermittler handelt – oder um einen Veranstalter mit Sitz in Deutschland, der mit deutschen Betreuern arbeitet, ein eigenes Programm hat, eine sichere Reise garantieren kann. Ich rate zu schauen, wie detailliert die Leistungen beschrieben sind. Eltern sollten sich vorher telefonisch beraten lassen. Eine Mitgliedschaft im Fachverband deutscher Sprachreiseveranstalter, dem FDSV, ist empfehlenswert. Zudem gibt es zertifizierte Veranstalter, die sich an einer europäischen Norm orientieren. Da müssen Kriterien erfüllt sein wie eine Mindestversorgung, die Qualität der Gastfamilie, die Teilnehmerzahl. Horrorgeschichten wie solche, in der acht oder mehr Kinder im Keller einer englischen Gastfamilie unterkommen, gibt es eigentlich nicht mehr.
Eigentlich?
Wenn etwas mal schief läuft, dann sind das Ausnahmen. Es hat sich qualitativ in der Branche viel getan. Der Standard bei Sprachreisen ist inzwischen höher als in der Touristik. Die vom FDSV veröffentliche Reklamationsquote liegt bei 1,57 Prozent.
Waren Sie als Kind auf einer Sprachreise?
Leider nicht. Meine Eltern wussten davon gar nix und auch wenn, hätten sie es wahrscheinlich nicht in Betracht gezogen. Eine gute Ausbildung wurde damals anders definiert als heute. Die Globalisierung war noch kein Thema. Meine Affinität zu Sprachen war gering, weil ich nicht genau wusste, was ich damit später anfangen soll. Meine Tochter ist jetzt 18. Da war von Anfang an klar: die macht eine Sprachreise.
INTERVIEW: AMADEUS ULRICH