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Archiv-Artikel

Abwehrreflexe verärgern Strahlenschützer

Nach dem AKW-Störfall mehren sich Vorwürfe gegen die Betreiber, aber auch Forderungen nach fundierten Analysen

BERLIN/STOCKHOLM taz ■ „Eines ist sicher: Deutsche Atomkraftwerke.“ Das hatten die vier deutschen AKW-Betreiber nach dem Störfall in Schweden reflexartig versichert. „Nach ersten Analysen kann ein Vorfall wie in Forsmark ausgeschlossen werden“, sagte eine E.on-Sprecherin. Ähnlich äußerten sich Vertreter von EnBW, RWE und Vattenfall. Der Reaktor Forsmark 1 hatte am 25. Juli Probleme bei der Stromversorgung und soll kurz vor der Kernschmelze gestanden haben.

Diese Selbstgewissheit bringt Deutschlands obersten Strahlenschützer auf die Palme. „Akzeptanz für eine Hochrisikotechnologie ist maßgeblich an das Verantwortungsbewusstsein der Betreiber gekoppelt“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, dem Tagesspiegel. Störfälle müssten „wissenschaftlich fundiert und interessenunabhängig bewertet werden“. Mit der nicht fundierten Entwarnung erwiesen die deutschen Betreiber ihren Anlagen einen Bärendienst.

Höchstens „so sicher wie die Rente“ sind die deutschen AKWs, sagen denn auch die „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“. Sie listeten gestern mindestens neun Forsmark-ähnliche Probleme in deutschen AKWs seit 1977 auf: Damals kam Block A des AKW Gundremmingen nach einem Blitzschlag zu Schaden. Blitzschläge oder Stürme führten auch in Neckarwestheim-1 (1982), Isar-1 (1983), Krümmel (1984) und Brokdorf (2003) zu Störfällen. In Biblis gab es von 1986 bis 2004 insgesamt drei Vorfälle mit Kurzschlüssen.

In Schweden mehren sich derweil die Vorwürfe gegen die Forsmark-Betreiber Vattenfall und E.on. Die AEG Industrial Engineering, von der die „Anlage zur unterbrechungsfreien Stromversorgung“ (USV) stammt, die in Forsmark nicht wie vorgesehen funktioniert hatte, weist jede Verantwortung von sich. AEG-Chef Karl-Heinz Schulz sagte der Stockholmer Zeitung Svenska Dagbladet, dass noch bei keiner einzigen der mehr als 1.000 von AEG gelieferten Anlagen ein vergleichbarer Fehler aufgetreten sei. Auch dass die Anlage falsch installiert wurde, hielt er für unmöglich: „Wir liefern ein geschlossenes System, das sich nach den Vorgaben verhält, die wir bekommen haben.“ Allerdings müsse das System regelmäßig gewartet werden. Ein Serviceabkommen mit Vattenfall-Forsmark habe AEG jedoch nicht gehabt: „Die Anlage war 13 Jahre alt. Wir kennen keinen Autofahrer, der sein Fahrzeug 13 Jahre mit derselben Batterie fährt.“

Angesichts dieser Unstimmigkeiten im vermeintlichen Hochsicherheitsland Schweden forderte die Umweltorganisation BUND die Bundesregierung auf, den Atomausstieg zu beschleunigen. „Wenn selbst schwedische Atommanager vom schwersten Störfall seit Harrisburg und Tschernobyl sprechen, müssen Konsequenzen her“, so Vizevorsitzende Brigitte Dahlbender.

Das Bundesumweltministerium hält sich vorerst zurück. Zwar erklärte ein Sprecher, es sei „klar“, dass Atomenergie eine Risikotechnologie bleibe. Er sagte aber auch: „Wir möchten die Fakten auswerten und nicht voreilige Schlüsse ziehen.“

NICK REIMER, REINHARD WOLFF