: Ein Kokettieren der ganz alten Schule
TANZ Aus Männern in Anzügen werden Männer in Kleidern. In „Gardenia“ spielen Transsexuelle und Transvestiten mit Verwandlungen und Sehnsüchten. Mit dem Stück von Alain Platel begann das Festival Tanz im August
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Das Gefühl ist wahr. Nach all den schillernden Posen und dem ironischen Mimikry erwischen einen die Trauer und der Schmerz in einer der letzten Szenen wie mit einem Paukenschlag. Dabei ist die Szene in der Transgenderrevue „Gardenia“ ganz leise: Ein junger Mann, schmal und langlockig, klagt niedergesunken vor dem Mikrofon mit schüchterner Stimme in russischer Sprache.
Der Mann will wissen, warum eine Liebe nicht möglich war. Seine Fragen werden übersetzt und gehen mit langen Pausen zwischen zwei großen Frauenfiguren hin und her. Die beiden haben keine Antwort und keine Worte des Trostes. Die eine, im roten ausgestellten Kleid, wie zur Teatime mit der Queen verabredet, sah man davor noch lustig ihr Handtäschchen schwingen. Die andere, im langen schimmernden Kaftan mit der Autorität einer vielgestaltigen Lebenserfahrung, königlich ausschreiten. Aber nun, vor dem Unglück des jungen Freundes, versagt ihr Kapital an Wissen. Einsamkeit breitet sich um jeden der drei aus wie ansteigendes Wasser. Mit „Gardenia“ von Alain Platel und Frank Van Laecke eröffnete das diesjährige Festival Tanz im August im Hebbeltheater.
Alain Platel hat mit diesem Stück, das schon in Avignon lief, seinen Ruf als Choreograf, der immer wieder Neues wagt, bestätigt. Er ist ein Star und gerne wiedergesehener Gast beim Festival Tanz im August. 38 Produktionen sind diesmal bis zum 3. September eingeladen. Wieder sind neben dem HAU auch das Podewil, die Halle, die Sophiensæle, das Radialsystem, die Akademie der Künste und die Volksbühne einbezogen.
Keine Agitation
Mit „Gardenia“ zu beginnen, ist ein guter Festivalauftakt: nicht nur, weil die Performance zu Herzen geht, sondern auch, weil sie die These der Festivalkuratoren so emphatisch belegt, dass viele Choreografen auf Themen gestoßen sind, die Menschenrechte berühren. Dabei ist „Gardenia“ alles andere als ein agitatorisches oder Thesenstück. Es werden auch keine Biografien oder Schicksale erzählt. Und doch transportiert dieses Tanztheater mit jedem Schritt und jedem neuen Bild den Mut und die Anstrengung, die es kosten kann, das Recht, so zu sein, wie man ist, auch zu leben.
Denn nichts an ihrer Identität ist selbstverständlich für diese neun Darsteller, Transsexuelle und Transvestiten, die in „Gardenia“ mehrfache Verwandlungen vorführen. Etwas äußerst Nostalgisches und Wehmütiges liegt dabei von Anfang an über allen Bildern, schon allein durch die Musik und die Kostüme. Ob es die Camp-Hymnen von Judy Garland sind oder kurze Charlestonkleider und pelzbesetzte Capes wie die Roben von Marlene Dietrich: Sie verweisen auf Sehnsuchtsorte weit weg vom Hier und Jetzt. Diesen Tenor verstärkt noch die Eingangssequenz, die von der Schließung eines Drag-Queen-Cabarets erzählt: Alles was folgt, ist sozusagen ein Abschied vom glamourösen Spiel mit wechselnden Geschlechtsidentitäten. Was an die Stelle von diesem Spiel rückt, das ist die große Frage und Lücke, die sich hinter „Gardenia“ auftut.
Doch zuvor darf man sich Stunden lang wärmen an den unterschiedlichen Stadien der Verwandlung. Die Darsteller, die meisten schon jenseits der 50, kommen zuerst als Männer auf die Bühne, als alte, schwache, schon zitternde Männer, die nur durch die übertriebene Korrektheit ihrer dezenten grauen Dreiteiler ahnen lassen, dass da noch etwas anderes ist. Allein Vanessa Van Durme hat schon Stöckelschuhe an. Sie stellt die Kolleginnen mit großspurigen Worten vor, die vor allem ihre ungeheure sexuelle Potenz und ihren maßlosen Appetit als Frauen anpreisen. Die große Kluft, die sich da zwischen den zurückgenommenen Erscheinungen und dem aufreißerischen Wortgeklingel auftut, wird dann Schritt für Schritt aufgefüllt, wenn ein buntgeblümtes Dessouchen nach dem anderen unter den Hemden aufblitzt und die Anzüge fallen. Ein Kokettieren und Flirten ganz der alten Schule beginnt.
Dass bei dieser diffizilen Arbeit am Aufbau der Bilder von Weiblichkeit auch eine Schauspielerin dabei ist, die ebenso viel wie die Transvestiten investieren muss, um sich den großen Rollen anzunähern, ist ein geschickter Zug der Regie von Alain Platel und Frank Van Laecke. Denn damit wird die Konstruktion des Geschlechts jenseits biologischer Vorgaben als kulturelle Funktion betont. Gleichzeitig behauptet die Inszenierung nicht zu viel: Sie verlässt nie den Rahmen des Bühnenauftritts und der extrovertierten Präsentation der doppeldeutigen Identität. Ein Blick hinter die Kulissen auf den Alltag ihren Figuren zu werfen, behauptet sie nicht. Und bleibt damit genau dort, wo die Stärken ihrer Darsteller liegen, im Imaginären.
■ „Gardenia“, noch bis Sonntag im Hebbeltheater. www.tanzimaugust.de