Brecht-Premiere bröckelt

… denn die Verhältnisse, sie sind nicht so: Das Bezirksamt verweigert dem Admiralspalast die Freigabe für das Publikum – drei Tage vor der geplanten Wiedereröffnung. Grund sind Baumängel

VON NINA APIN

Der Anblick des Admiralspalastes ist nichts für schwache Gemüter. Wenige Tage vor seiner geplanten Wiedereröffnung ist der legendäre Amüsiertempel aus den 20er-Jahren noch eine Baustelle. Ein Pfad aus Brettern und Pappen führt durch den aufgerissenen Innenhof, im Hinterhaus hängen Kabel von den Wänden, der nackte Boden ist uneben und von Bauschutt bedeckt.

Angesichts des Chaos ist es kein Wunder, dass das Bauamt Mitte sich bislang nicht durchringen konnte, eine vorbehaltslose Genehmigung für die Aufnahme des Spielbetriebs im Großen Saal zu erteilen. Obwohl die sichere Begehbarkeit in weiten Teilen gewährleistet sei, gelte es immer noch „hunderte“ kleine Mängel im Bereich von Sicherheit und Brandschutz auszuräumen, sagte Baustadträtin Dorothee Dubrau (Grüne) gestern. Damit ist weiter ungewiss, ob das Haus am Freitag mit Brandauers Brecht-Inszenierung „Die Dreigroschenoper“ wieder eröffnet werden kann.

Erst am Donnerstag will die Bauaufsicht nach einer letzten Begehung entscheiden, ob die für eine Premiere mit fast zweitausend Gästen erforderlichen Sicherheitsstandards eingehalten werden können. Dubrau gab sich gestern zwar optimistisch, dass sich der Vorhang für das Brecht-Stück wie geplant am Freitag heben könne. Doch für das krisengebeutelte Ensemble und die über 70 Bauarbeiter, die derzeit fast rund um die Uhr schuften, erhöht dieses Zögern erst einmal nur den Druck.

Schon am Montag war abzusehen, dass es äußerst knapp werden dürfte mit der Fertigstellung. Das 1911 vom Berliner Architekten Heinrich Schweitzer entworfene Multifunktionsgebäude, das Bauherr Falk Walter der Presse präsentierte, erinnerte an ein potemkinsches Dorf. Die Fassade strahlt in Weiß und Rot, doch im ersten und zweiten Stock fehlen die Fenster. Im Hinterhaus ist nur der Theatersaal selbst fertig, Foyer, Gang und Garderobe sind noch im Bau.

Um sich vorzustellen, wie der Palast nach seinem Umbau aussehen soll, muss man ganz fest die Augen schließen. Oder Falk Walter zuhören. Der „Arena“-Betreiber, der 2003 mit drei Gesellschaftern den verfallenen Admiralspalast vom Land Berlin kaufte und nun für 14,5 Millionen Euro umbaut, besitzt nämlich eine rege Fantasie. Walter schwärmt von der reichen Geschichte des Hauses, das als bürgerliches Salonbad mit Restaurantbetrieb erbaut worden war und dann durch ständige Um- und Anbauten den Erfordernissen der Zeit angepasst wurde.

Club statt Eislaufarena

Auch Falk Walter will ein zeitgemäßes Haus aus der altehrwürdigen Immobilie machen. Das Solebad im vierten Stock soll wieder öffnen. Die in den 20er-Jahren beliebte Eislaufarena soll es nicht mehr geben, dafür einen neuen Club im Untergeschoss. Der größte Eingriff ist eine Treppe, die eine neue Verbindung zwischen den drei Rängen und dem Parkett herstellen soll. In der Vision des Architekten wird sie sich silbern wie eine Schraube durch die Stockwerke winden – bislang ist sie noch unverputzt.

Als Falk Walter die Anekdote von den Stasi-Wanzen bringt, die bei den Umbauarbeiten zum Vorschein kamen, muss er gegen die Luftumwälzungsanlage anschreien, die mit viel Getöse von den Hausingenieuren getestet wird. Doch der Kulturunternehmer hat ein dickes Fell. Unverdrossen präsentiert er die Produktionen, die er im nächsten Jahr ans Haus holen will: eine Komödie unter der Regie von Esther Schweins, eine Bollywood-Show, die Trommelshow „Stomp“. Dass Esther Schweins von Whitney Houston übertönt wird, weil nebenbei auch die Beschallungsanlage getestet wird, ficht ihn auch nicht an: „Wir dürfen keine Zeit verlieren: Wir haben noch unheimlich viel vor uns“, sagt er ruhig und lobt die „großartige Leistung und Ausdauer“ des Brandauer-Ensembles. Es muss während der andauernden Bauarbeiten in den Nachtstunden proben.

Schmerzgrenze erreicht

Nicht alle, die an dem Mammutprojekt Admiralspalast beteiligt sind, haben freilich so gute Nerven wie der Bauherr: Nicht nur die Bauarbeiter, die im Akkord Wände streichen und Bodenplatten verlegen, auch die bohrenden Fragen ausgesetzten Pressemitarbeiterinnen sehen gestresst aus. Aber vor allem ist beim Ensemble der „Dreigroschenoper“ die Schmerzgrenze erreicht. Der Schweizer Lukas Leuenberger, der im Auftrag des Admiralspalastes die „Dreigroschenoper“ produziert, machte am Montagnachmittag seinem angestauten Frust in einem Tobsuchtsanfall Luft. „Wir haben monatelang auf einem Schutthaufen geprobt, Frank Walter lässt sich wochenlang nicht auf der Baustelle sehen und zieht jetzt eine Riesenshow ab“, schäumte er im Innenhof der Baustelle.

Leuenberger, der nach eigenen Angaben dreieinhalb Millionen Euro in die Produktion gesteckt hat, fühlt sich von der Arena GmbH verschaukelt. Ein „Theater in marktgerechter Ausführung“ habe man ihm zugesichert. Wegen der andauernden Lärm- und Staubbelastung und den unzumutbaren Probenzeiten seien Regisseur und Schauspieler „völlig am Ende“. Er halte bereits Ausschau nach einem alternativen Aufführungsort. Egal, ob sich am Freitag der Vorhang für die „Dreigroschenoper“ heben wird oder nicht, plant Leuenberger, Falk Walter und seine Gesellschafter auf Schadenersatz zu verklagen. Ob auf oder hinter der Bühne: Drama gibt es im Admiralspalast jetzt schon.