: Blankoscheck für AKW-Betreiber
Forsmark und die Folgen: Bundesumweltminister Gabriel findet es „suboptimal“, dass die Sicherheit der drei Atomkraftwerke in Niedersachsen nicht von unabhängigen Gutachtern geprüft worden sein soll
Von Kai Schöneberg
Sicherer macht das Polit-Gezänk die deutschen Atomkraftwerke nicht. Dennoch streiten sich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Landeskollege in Niedersachsen, der FDP-Mann Hans-Heinrich Sander, über die Konsequenzen aus dem Unfall im schwedischen Atommeiler Forsmark 1. Es sei „suboptimal“, dass Niedersachsen sich bei der Prüfung der Sicherheit der drei Atommeiler in Niedersachsen schlicht der Auffassung der Kraftwerksbetreiber angeschlossen habe, rüffelte Gabriel gestern. Alle anderen Bundesländer hätten ihre Kraftwerke nach der Störung durch unabhängige Gutachter auf Sicherheitslücken prüfen lassen. Es sei „nicht angemessen“, dass sich Niedersachsen beim Sicherheitscheck der Anlagen Unterweser, Grohnde und Emsland nur auf die Betreiber E.ON und RWE verlassen habe.
„Ich habe die Stellungnahmen“ der Betreiber „geprüft und schließe mich der sicherheitstechnischen Bewertung an“, heißt es in einem Fax aus dem Umweltministerium in Hannover nach Berlin, das der taz vorliegt. Öffentlich hatte Sander am Dienstag erklärt, ein Problem wie in Forsmark sei bei den Anlagen im Land „nicht möglich“. Ein Gabriel-Sprecher schloss nicht aus, dass Niedersachsen bei der weiteren Prüfung der Vorfälle „per Weisung“ dazu gezwungen werde, unabhängige Gutachter einzukaufen.
Ein Kurzschluss hatte den Reaktorbetrieb in Schweden vor zwei Wochen gestoppt. Von vier für die Kühlung vorgesehenen Notstrom-Dieselmaschinen sprangen nur zwei automatisch an, die übrigen beiden konnten erst nach 20 Minuten manuell gestartet werden. Vier von zehn Atomkraftwerken in Schweden wurden daraufhin abgeschaltet. Sander hatte betont, bei den drei niedersächsischen AKW könne das Problem nicht auftauchen, weil die Notstromversorgung über Batterie laufe.
Der Liberale hatte den ersten Stein geworfen: Bereits vor zwei Tagen hatte er Gabriel gerügt, zu spät über den Störfall informiert zu haben. Auch das wies Gabriel gestern zurück. Niedersachsen sei wie alle anderen Bundesländer an das internationale Meldesystem Ines angeschlossen – und deshalb genauso früh wie der Bund über das Problem informiert worden. „Herr Sander wäre gut beraten, sich mit der Materie zu befassen“, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums (BMU).
„Sander konzentriert sich lieber darauf, das BMU in Sachen Informationsfluss zu kritisieren, als seinen Job zu erledigen“, sekundierte SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner. Das für die Atomaufsicht zuständige Landesministerium hätte wissen müssen, dass alle Bundesländer seit 2003 Zugriff auf Ines haben. „Absolut dreist“ fand Jüttner, „dass Sander offenbar in vorauseilendem Gehorsam der Atomlobby einen ‚Blanko-Scheck‘ ausstellt“. Sander schiebe so die Atomaufsicht auf die Kraftwerksbetreiber ab. „Unverantwortlich, wie hier mit der Sicherheit der Bürger umgegangen wird“, sagte Jüttner. Sander tue „dem Land Niedersachsen keinen Gefallen, indem er sich aus Prinzip als Quertreiber gegenüber dem Bund aufspielt“.
Sander wies die Vorwürfe zurück. „Der Störfall darf nicht dazu genutzt werden, politische Süppchen zu kochen“, sagte der Minister. Gabriel könne „ganz beruhigt“ sein. Natürlich hätten unabhängige TÜV-Gutachter die Anlagen geprüft: Das sei so „selbstverständlich, dass wir es nicht für erwähnenswert gehalten haben“. Der TÜV werde auch bei der weiteren Überprüfung der AKW dabei sein. Im übrigen habe auch die Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) den schleppenden Informationsfluss kritisiert.