Bis zur Bewusstlosigkeit getreten

Prozess Ein afrikanischstämmiger Portugiese wird auf dem Alexanderplatz Opfer einer vermutlich rassistisch motivierten Prügelattacke. Nun stehen zwei Männer vor Gericht

Die Polizei soll den Angeklagten zunächst Rechtsbeistand verweigert haben

VON PLUTONIA PLARRE

Er sei kein Rassist und habe auch nichts gegen „Südländer“, versichert der Angeklagte Thomasz K. vor Gericht. Der 23-Jährige spricht kein Deutsch. Seine Verteidigerin verliest für ihn eine Erklärung. Thomasz K. und der mitangeklagte 33-jährige Artur L. müssen sich seit Freitag wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht verantworten.

Die gebürtigen Polen sollen einen in Guinea geborenen Portugiesen im Juli vergangenen Jahres auf dem Alexanderplatz mit Schlägen und Tritten lebensgefährlich verletzt haben – rassistisch motiviert. Befördert worden sei die Tat durch eine „Abneigung gegen Personen mit dunkler Hautfarbe und purer Lust an Gewalt“, so die Staatsanwaltschaft.

„Blöder Nigger“

Wären nicht Passanten dazwischengegangen – der Geschädigte Lima S. würde vielleicht nicht mehr leben. Am Neptunbrunnen nahe dem Alexanderplatz hatte der 48-Jährige am 9. Juli 2013 auf einer Parkbank gesessen, als er von den offenbar schwer alkoholisierten Angeklagten angepöbelt wurde. Beleidigungen wie „blöder Nigger“ sollen gefallen sein. Lima S., der auch Russisch spricht, habe auf Russisch geantwortet, heißt es in der Anklageschrift. Mit Faustschlägen und Fußtritten seien die Angeklagten über den Portugiesen hergefallen – auch dann noch, als der am Boden lag. Bis zu dessen Bewusstlosigkeit hätten sie das Opfer traktiert.

Die Tätlichkeiten seien von K. ausgegangen, meint die Staatsanwaltschaft, aber L. habe mitgemacht. Erst als umstehende Zeugen aufmerksam wurden und laut schreiend hinzuliefen, hätten die Angeklagten von ihrem Opfer abgelassen.

Lima S. erlitt eine lebensbedrohliche Hirnblutung, ein Schädelhirntrauma und einen Bruch der rechten Augenhöhle. Im Prozess ist er Nebenkläger. Anders als Artur L., der sich am Freitag nicht zu den Vorwürfen äußert, räumt Thomasz K. in einer schriftlichen Einlassung Tätlichkeiten ein. Er sei über Lima S. verärgert gewesen, weil der ihm keine Zigarette gegeben und dann etwas auf Russisch zu ihm gesagt habe. Er wisse nicht was, vermute aber, dass es etwas Beleidigendes gewesen sei. Bei der Polizei hatte K. ausgesagt, Lima S. hätte ihn zu schlagen versucht, habe ihn aber verfehlt: „Dann habe ich ihn geschlagen.“

Aus den Protokollen der Befragung durch Beamte der 2. Mordkommission, die der Vorsitzende Richter am Freitag vorlas, ergibt sich: Sowohl Thomasz K. als auch Artur L. haben nach ihrer Festnahme am 9. Juli gefordert, die Kripobeamten mögen ihnen Pflichtverteidiger besorgen. Aber nichts dergleichen war passiert.

Vor Gericht begründet der als Zeuge gehörte Kripobeamte Michael Sch. das am Freitag so: Es sei kein Anwalt benachrichtigt worden, weil Artur L. sich ohnehin nicht zur Tat geäußert habe. L.s Verteidiger Mirko Röder ist empört: „Was?“, ruft Röder. „Die Mordkommission tut nichts, obwohl der Beschuldigte sagt, er will einen Verteidiger?“ – „Richtig“, bestätigt der Beamte. Die Mordkommission habe den Fall dann ja auch wegen des rassistischen Bezugs an die Staatschutzabteilung des Landeskriminalamts abgegeben. Die Mordkommission sei dazu verpflichtet gewesen, einen Rechtsbeistand zu besorgen, entgegnet Röder. Eigens für solche Fälle liege im LKA eine Anwaltsliste aus, und bei der Strafverteidigervereinigung gebe es eine Notrufnummer. „Das wäre ein Handgriff gewesen.“

Nach ihren Wohn- und Arbeitsverhältnissen gefragt, gaben die Angeklagten an, in Berlin als Arbeiter tätig gewesen zu sein. Einen festen Wohnsitz in Deutschland hätten sie nicht. In Presseberichten hatte es geheißen, sie seien obdachlos.

Bereits einen Monat vor der Tat am Neptunbrunnen waren Thomasz K. und Artur L. aktenkundig geworden. Ein Obdachlosen am Ostbahnhof war diesmal das Opfer. Zunächst sollen sie den Inhalt einer Rotweinflasche über dem auf dem Boden Hockenden ausgegossen haben. Als die Kleidung des Mannes durchtränkt war, hätten sie ihn mit gekauten Essensresten bespuckt und ihm Hakenkreuze ins Gesicht geschmiert, heißt es in der Anklage.

Der Vorfall wird im Prozess mitverhandelt. Am Freitag wird das Verfahren fortgesetzt.