: Die traute Harmonie einstiger Bürgermeister
taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 2): In Tempelhof-Schöneberg regiert eine ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen. In den letzten Jahren kümmerte man sich um die Gestaltung der idyllischen Ecken. Jetzt wartet eine neue Herausforderung: die Belebung des Quartiers um den Bahnhof Südkreuz
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Im Rathaus Schöneberg rumpelt noch immer ein Paternoster von Stockwerk zu Stockwerk. Er fährt so langsam, dass nicht einmal der TÜV Bedenken gegen seinen Betrieb vorbrachte, als Ende der 90er-Jahre in vielen anderen öffentlichen Berliner Gebäuden das Unikum wegen Altersschwäche oder Sicherheitsbedenken abgeschafft wurde. Die Mitarbeiter und Amtsträger des Bezirksamts in Tempelhof-Schöneberg nutzen den Paternoster bis dato. Er ist so etwas wie das Beharrende in den Zeiten des Wandels – ein Symbol des alten Schöneberger Rathauses am John-F.-Kennedy-Platz, das seit 2001 auch für den fusionierten Nachbarn Tempelhof zuständig ist.
Wie der Paternoster, so hat sich auch der Bezirk Tempelhof-Schöneberg politisch durch die vergangenen fünf Jahre gerumpelt: recht unaufgeregt und jenseits großer Streitereien im Bezirksparlament und in den Bezirksämtern. Ekkehard Band (SPD) spielt den väterlichen Bezirksbürgermeister recht erfolgreich. Dieter Hapel (CDU, Exbürgermeister aus Tempelhof), ist Bands Vertreter und Stadtrat für Schule und Kultur. Elisabeth Ziemer (Grüne) war ebenfalls schon Bürgermeisterin in Schöneberg (1996 bis 2001) und hat seit 2002 das Amt für Gesundheit, Stadtentwicklung und Quartiersmanagement inne.
Weil jeder der führenden Amtsträger schon einmal im Bürgermeistersessel saß und das Spiel mit der begrenzten Macht und den Möglichkeiten im Bezirk kennt, gleicht die rot-schwarz-grüne Koalition samt Fraktionen politisch einem Dampfer, der Tempelhof-Schöneberg im behäbigen Stil einer großen Koalition plus Grüne im Boot lenkt. Denn: Geht es um die großen Themen, wie die Schließung und Umwidmung des Flughafens Tempelhof, gehen die Parteigänger des Abgeordnetenhauses oder der Landesvorstände vor. Nicht dass Band und Ziemer für die Schließung oder Hapel für die Offenhaltung von Tempelhof wären – jeder hat seine klare Meinung. Entschieden werden die Fragen aber im Roten Rathaus und im Abgeordnetenhaus. Wozu sich also wehtun?
Tempelhof-Schöneberg – das war in den vergangenen fünf Jahren für Ekkehard Band das KaDeWe und der wohlhabende Kiez zwischen Hauptstraße, Bundesallee und Winterfeldtplatz, der aufblühende Wohnbereich Fliegersiedlung und Alt-Tempelhof sowie der alternative Kulturstandort Ufa-Fabrik. All dies wurde weiterentwickelt. „Gestaltung kleinteiliger Stadträume“ nennt Band das.
Tempelhof-Schöneberg blieb aber auch der Wohnbunker an der Pallasstraße, die „Rennbahn“ Potsdamer Straße, die Problemquartiere Nord-Schöneberg um die Kurfürstenstraße sowie entlang des südlichen Tempelhofer Damms. Gisela Gut, Koordinatorin des Präventionsrats für den Schöneberger Norden, konstatiert, dass dieses Gebiet zwar einen guten Wohnungsbestand besitze. Es mangele aber „an Sport-, Spiel- und Grünflächen. Darüber hinaus sind die Bewohner mit dem Verkehr, den Folgen der Drogenszene und des Straßenstrichs konfrontiert.“
Dennoch hat der Bezirk von den schwarz-rot-grünen Balancen auf einer anderen Ebene profitiert: Tempelhof-Schöneberg hat einen wirtschaftlichen Strukturwandel angeschoben, der sein Image erneuert. Für Band hat der „Wirtschaftsstandort Tempelhof-Schöneberg oberste Priorität“. Neue Arbeitsplätze, Firmenansiedlung und die Ausweisung neuer Standorte für Medien-, Dienstleistungs- und Shoppingquartiere bestimmen die ökonomisch-politische Agenda im Rathaus. Man gibt sich dynamisch über alle Parteigrenzen hinweg.
Zwar hat es Gerangel unter den Parteien und Stadträten gegeben, als es um die Dimensionen von Ikea am Sachsendamm, den Bau von Baumärkten dort und die Begehrlichkeiten eines Möbelhauses auf dem Areal der alten Radrennbahn ging. Das Resultat war: Ikea steht, die Baumärkte auch, und die Randrennbahn am Sachsendamm wurde abgerissen.
Seit der Eröffnung des Bahnhofs Südkreuz im Mai 2006 steht der Bezirk vor einer neuen Herausforderung. Schon vor dem Bau haben die linken Parteien und Bürgerinitiativen sowohl die Bahn als auch das Land vor einem Südkreuz gewarnt, das wie der Hauptbahnhof gleich einem Raumschiff in der Landschaft liegt, weil die städtebauliche Anbindung an die Schöneberg-Tempelhofer Quartiere fehle. Als Bahnhof funktioniere er noch genauso wenig wie als Geschäftsstandort, kritisiert darum Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbandes. „Das Südkreuz läuft wie erwartet auf einem niedrigeren Niveau.“ Es müsse sich erst noch herumsprechen, dass der Bahnhof Südkreuz auf der Schiene viel besser erreichbar sei als der schlechter an den Nahverkehr angeschlossene Hauptbahnhof. Auch darum seien die rund 5.000 Quadratmeter Verkaufsfläche für Geschäfte nicht ausgelastet.
Für die Bezirkspolitik hat sich deshalb seit der Bahnhofsplanung das zukünftige städtebauliche Hauptaugenmerk auf den Standort Südkreuz und das Gewerbegebiet zwischen Bahnhof und Kolonnenstraße konzentriert. Mit der Initiative „Neue Naumannstraße“ hat die Stadtentwicklung des Bezirks seit dem vergangenen Jahr einen Plan vorgelegt, wie das zum Teil brachliegende 60 Hektar große Gewerbegebiet entlang der 500 Meter langen Naumannstraße von der Kolonnenstraße bis zum Südkreuz erweitert und neu strukturiert werden könnte. Entwicklung und Neuansiedlungen von Gewerbe sollen Schwerpunkte der Maßnahmen sein. Hinzu kommt die Beruhigung der „Alten Naumannstraße“ und die Erweiterung des Leuthener Platzes. Eine „Neue Naumannstraße“ soll entlang der Bahngleise bis zum Bahnhof führen und den neuen Wirtschafts- und Arbeitsstandort erschließen.
Es wäre dies das größte Projekt des Bezirks – vor einem noch größeren in der Zukunft: nämlich der Planung für die Umnutzung des Tempelhofer Flughafens als Park, Wohnort und Arbeitsraum. Darüber wird die neue BVV zu streiten haben, aber dann vielleicht mit mehr Reibung.