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Archiv-Artikel

Muttermilch mit Tensiden belastet

Wissenschaftler weisen die Industriechemikalie PFT im Körper und im Trinkwasser nach. Das Gesundheitsrisiko ist bislang unklar. Mütter sollen ihre Kinder weiterhin stillen

DÜSSELDORF taz ■ Sie stecken in Pizzapackungen, Teflonpfannen und Regenkleidung: Perfluorierte Tenside (PFT) werden seit vielen Jahren in der Papier-, Leder- und Fotoindustrie verwendet, weil sie Fett und Wasser abweisen. Niemand hatte damit gerechnet, dass sie Trinkwasser und Muttermilch belasten können. „Im menschlichen Körper haben diese Stoffe eigentlich nichts zu suchen“, sagt Adolf Windorfer, Leiter des Landesgesundheitsamtes Niedersachsen. In einer Pilotstudie hat er erstmals erhöhte Konzentrationen der Chemikalie in der Muttermilch nachgewiesen.

Für Mütter und Babys soll aber keine Gefahr bestehen. Windorfer empfiehlt: „Sie sollen auf jeden Fall weiter stillen.“ Die in der Milch gemessenen Mengen hätten keine gesundheitliche Bedeutung. Genau erforscht sind die Risiken von PFT allerdings noch nicht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hält die Erkenntnisse für „unzureichend“.

Fest steht: In sehr hohen Konzentrationen können die Tenside bei Tieren Krebs erregen. In Laborversuchen mit Ratten löste das PFT-Abbauprodukt Perfluoroctansäure (PFOA) Leber- und Schilddrüsenkrebs aus. Auch die Fruchtbarkeit kann beeinträchtigt werden. Problem aus Sicht von Hermann Dieter, Toxikologe beim Umweltbundesamt: „Die Substanzen bleiben lange im Körper“. Es dauere etwa 4,5 Jahre, bis sie zur Hälfte abgebaut sind.

Bis vor kurzem war unbekannt, dass Muttermilch und auch Trinkwasser mit der Industriechemikalie PFT belastet sein können. Das fiel erst auf, als das Bonner Hygiene-Institut die Flüsse Ruhr und Möhne für eine internationale Chemikalienstudie untersucht hat. Die Wissenschaftler stießen plötzlich auf eine PFT-Belastung. Daraufhin untersuchten sie auch Felder und Teiche im Hochsauerlandkreis und dem Kreis Soest – und stellten erhöhte Konzentrationen der Substanz fest. Einen Grenzwert gibt es bisher aber weder für Muttermilch noch für Trinkwasser. Experten forschen nun nach den Gründen der Belastungen.

Als Ursache gilt bisher Dünger einer Firma aus dem Raum Paderborn. Warum er die Chemikalie enthält, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der aus Abfällen und Kalk gemischte Kompost wurde in NRW, Niedersachsen und Hessen auf bis zu 1.000 Flächen aufgetragen, teilte die Bezirksregierung Arnsberg mit. Einen Zusammenhang mit der belasteten Muttermilch in Niedersachsen sieht Windorfer aber nicht – das gleichzeitige Auftreten der Schadstoffe sei „Zufall“. Dort will das Landesgesundheitsamt nun weitere Muttermilch-Tests machen. Zudem sollen die Materialien gelistet werden, in denen sich PFT findet.

In NRW will das Umweltministerium ab September Blutproben von SchülerInnen und Müttern nehmen, die belastetes Wasser getrunken haben. So sollen spätere Erkrankungen auf die Schadstoffe zurückgeführt werden können. NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) fordert bereits ein Verbot von PFT. Auch auf EU-Ebene wird derzeit über einen Verkaufsstopp diskutiert. Der Umweltausschuss des Parlaments hat sich dafür ausgesprochen. GESA SCHÖLGENS