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Archiv-Artikel

Bombe aus Beirut platzt am Bodensee

Martin Walser wird neuer Hisbollah-Chef. Der Schriftsteller plant einen Karrieresprung von Überlingen in den Libanon

BEIRUT/BERLIN taz ■ Es war nur eine dürre Meldung, die der Nachrichtensprecher des Hisbollah-Senders al-Manar gestern um zwölf Uhr mittags verlas, aber sie schlug ein wie eine Bombe in Beirut und der übrigen Welt: „Und hier eine Nachricht von unserem geliebten Führer Scheich Sajjed Hassan Nasrallah: ‚Ich, Scheich Sajjed Hassan Nasrallah, Führer der gütigen Hisbollah, verkünde, dass ich dem unendlich weisen Ratschlag Allahs folge und meinen Nachfolger ausgewählt habe. Für den Fall meiner Berufung ins Paradies zu den 72 Jungfrauen, die der unendlich weise Allah für mich bereithält, soll der deutsche Schriftsteller Martin Walser meine Nachfolge antreten und neuer Führer unserer geliebten Hisbollah werden.‘“

Martin Walser wird neuer Hisbollah-Chef! Die Sensation war perfekt. Blitzschnell machte die Nachricht die Runde. Die Bundesregierung zeigte sich zunächst sichtlich geschockt und ließ lediglich verlauten, dass sie den Fall prüfe. Und Walser selbst? Der in Überlingen am Bodensee lebende Schriftsteller hüllte sich in Schweigen. Bis er dann um 17 Uhr doch noch an die Öffentlichkeit trat und in einem Telefon-Interview mit der Apotheken Umschau seine Beweggründe für den Karriereschritt in den Libanon erläuterte.

Zuvor explodierten die Gerüchte. Besonders die Tatsache, dass der Noch-Hisbollah-Führer Nasrallah nicht, wie er es sonst tat, persönlich im Fernsehen auftrat, befeuerte die Spekulationen. War der größte Feind Israels bereits tot? Und wie war der Terror-Scheich ausgerechnet auf Martin Walser als seinen Nachfolger gekommen?

Walser hatte soeben erst seinen neue Roman „Angstblüte“ veröffentlicht. Ein Buch, das allerdings bei Lesern und Kritikern gleichermaßen durchfiel. Der autobiografisch angehauchte Roman über einen gealterten Fondsmanger, dem das Hirn in die Hoden rutscht, als er einer jüngeren Frau nachsteigt, verkaufte sich nur mühsam. „Ein unappetitliches Werk“, urteilte Marcel Reich-Ranicki: „Alte Männer, insbesondere alte Schriftsteller, kennen nur ein Thema: Sex, Geschlechtsverkehr und Frauen. Die körperliche Liebe aber sollte in einem Roman nicht derart in den Schmutz gezogen werden.“

Hinter vorgehaltener Hand äußern sich selbst die Mitarbeiter des Rowohlt-Verlags, in dem „Angstblüte“ erschienen ist, alles andere als positiv. Das sei wohl der letzte Roman des 79-Jährigen, denn ein weiteres katastrophales Buch könne man nicht einmal den treuesten Lesern vorsetzen, „Angstblüte“ sei im Grunde genommen reiner Terror, heißt es in Reinbek.

Das Buch läuft nicht, die Hormone stauen sich, und dann ist auch noch die Karriereleiter abgesägt. Denn kürzlich wurde bekannt, dass der von Walser angestrebte Posten des „Praeceptor Germaniae“ so schnell nicht neu vergeben wird. Seit dem Tode Heinrich Bölls hat die Stelle des führenden deutschen Intellektuellen, der jeden offenen Brief ungefragt unterschreibt, Günter Grass inne. Der eines Tages wohl mit einer seiner hässlichen Skulpturen erschlagen werden muss, ist er doch nicht totzukriegen. Erst vor Kurzem hatten die Gesundheitsexperten der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven dem 88-Jährigen bescheinigt, „pumperlgesund“ zu sein. Er werde mindestens hundert, wenn er weiterhin so bienenfleißig vor sich hin walucke.

Mit diesem offiziellen Behördenbescheid platzte auch Walsers großer Traum: der Literatur-Nobelpreis. Nur ein Befreiungsschlag konnte ihm jetzt noch helfen. Er musste alle Grenzen überschreiten. Kein Problem für einen mittelmäßigen Romancier und Halbdenker, der sich selbst allerdings schon immer als Tabubrecher sah. Was konnte ihm da näherliegen als die Hisbollah? Jenem Walser, der seit Jahren nur zu gern mit dem Antisemitismus-Verdacht spielt?

Am Freitagnachmittag endlich erklärte Walser der Weltöffentlichkeit, was geschehen war: Er habe mit Nasrallah telefoniert und nicht Nein sagen können zu der Nachfolgeregelung. Zumal ja, wie Walser weiter ausführte, Nasrallah sich als echter Fan Walsers geoutet habe. Er kenne jedes Buch von ihm. Und die Hisbollah sei gar nicht so schlimm, wie immer behauptet werde. „Die Hisbollah ist überhaupt nicht antisemitisch eingestellt. Dass die Juden ihre Feinde sind, ist eher Zufall. Selbst wenn die Israelis Muslime wären, würde die Hisbollah gegen sie kämpfen“, sagte Walser und fuhr fort: „Die Hisbollah ist noch nicht mal eine religiöse Partei. Zum Beispiel tauchen die Wörter ‚Islam‘ und ‚Muslim‘ in ihren Programmen nur am Rande auf. Sehen Sie, ich bin ja nicht mal Muslim. Als neuer Führer der Hisbollah werde ich als Erstes den Namen ‚Partei Gottes‘ abändern in ‚Partei Walsers‘. Gerade das hat Scheich Nasrallah gut gefallen. Dieser nette Mann, der nie die Vernichtung Israels planen würde. Im Gegenteil: Die Hisbollah hat den Friedensnobelpreis verdient.“

Was auf den ersten Blick wie die krasse Fehleinschätzung eines naiven alten Mannes wirkt, stellt sich bei genauerer Betrachtung als handfestes Geschäft heraus. Denn Walser wird von Nasrallah auch das lukrative Souvenir-Business im Libanon übernehmen. Der geschäftige Priester Nasrallah verdient recht gut an der Produktion von Hisbollah-Fahnen, T-Shirts und Bildern mit seinem Konterfei. Experten sprechen von siebenstelligen Summen, die Walser künftig zugutekommen werden.

Ob sich Nasrallah mit seinem Anteil am Gewinn zur Ruhe setzen will, ist fraglich. Sicher ist nur, dass Walser angekündigt hat, Überlingen schon morgen zu verlassen und nach Beirut zu reisen. Dort will er trotz seiner neuen Aufgabe auch ein Buch verfassen. Den Titel des „politischen Tagebuchs“ hat er bereits im Sprengkopf: „Vom Bodensee in den Bunker – eine deutsche Karriere“. MICHAEL RINGEL