Die Börse boomt wieder

Die Libanesen beziffern die Kriegsschäden auf mehr als 4,5 Milliarden Euro. Und doch gibt es einige Hoffnung

VON ALFRED HACKENSBERGER

Um zwanzig Jahre wollte Israel den Libanon zurückbomben. Zwei Jahrzehnte wird es wohl nicht dauern, aber ein, zwei Jahre sicherlich, bis die zerstörten Elektrizitätswerke, Brücken, Autobahnen, Flughäfen wieder aufgebaut sind und sich das Meer und die Küste vom ausgelaufenen Öl erholt haben.

Überall laufen bereits die Aufräumungsarbeiten. In Südbeirut schaffen die Bulldozer der Hisbollah den Schutt beiseite. Nach dem vierwöchigen Militäreinsatz, hat nun die Sozialabteilung der schiitischen Partei viel zu tun. Ausgebombten Familien wurde Geld für die Miete eines Jahres in einem Hotel versprochen, anderen Familien Kompensation für die zerstörte Wohnungseinrichtung oder die Reparatur beschädigter Häuser. „Keiner muss lange darauf warten oder Schlangestehen“, verkündete Hassan Nasrallah.

Auf „zwei oder drei Milliarden Dollar“ schätzte der libanesische Finanzminister Dschihad Asur noch während des Krieges „die Kosten für den Wiederaufbau der Infrastruktur“. Eine gründliche Analyse, die auf realen Zahlen basiere, meinte der Minister damals, sei erst nach Kriegsende möglich. Seit Montag hat Dschihad Asur nun viel Arbeit, „die wahren Ausmaße der ökonomischen Katastrophe zu errechnen“. Mittlerweile spricht man von 6 Milliarden Dollar (4,6 Millionen Euro) Gesamtschaden.

Die 200 Millionen Dollar, die der Staat an Steuereinahmen in einem Kriegsmonat verloren hat, machen dabei nur einen kleinen Teil aus. Ähnlich ist es mit den fehlenden 2 Millionen Dollar Reinerlös, die die ausgefallene Touristen-Sommersaison Restaurants, Hotels und anderen Dienstleitungsbetrieben gebracht hätte. Trotz allem ist der Finanzminister auch heute noch optimistisch. „Wir waren in der Vergangenheit mehrfach in der Lage, unser kleines Boot durch bewegtes Wasser zu manövrieren, und wir werden es auch dieses Mal wieder schaffen.“ Von der Staatsverschuldung von 38,8 Milliarden Dollar, der ein jährliches Bruttosozialprodukt von nur 20 Milliarden gegenübersteht, ist allerdings keine Rede.

Immerhin: Brücken, Straßen, Häuser können relativ schnell wieder aufgebaut werden. Saudi-Arabien und Kuwait haben nach wenigen Kriegstagen zusammen bereits 2 Milliarden Dollar Hilfe für den Wiederaufbau versprochen.

Mit der Natur geht es jedoch nicht so einfach. 30.000 Tonnen Öl sind aus den bombardierten Tanks des Elektrizitätswerks von Dschije ins Meer geflossen und haben die gesamte libanesische Küste verseucht. Der libanesische Umweltminister Jakub al-Sarraf sprach von der größten Umweltkatastrophe, die sein Land je gesehen habe. Er veranschlagte die Kosten für die Entfernung des Öls zwischen 40 und 50 Millionen Dollar. Monate würden die Arbeiten dauern – und Jahre, bis sich das Meer von diesem Desaster erholt.

Für die Tourismusindustrie ist dies ein herber Schlag. Ein verseuchtes Meer zerstört auch die Träume einer gewinnbringenden Saison 2007. Mitte Mai dieses Jahres hatte Tourismusminister Joseph Sarkis noch 1,5 Millionen Besucher für 2006 prognostiziert. Alle Hotels in Beirut und in den Bergen waren für die Sommersaison ausgebucht. Gerade die zahlungskräftigen Besucher aus den arabischen Golfstaaten, die jedes Jahr vor den hohen Sommertemperaturen ihrer Heimatländer flüchten, sollten die libanesische Wirtschaft ankurbeln.

Auch die Hoffnung auf das für 2006 angestrebte Wirtschaftswachstum von 5 Prozent und eine positive Außenhandelsbilanz ist durch den Krieg dahin. Die Staatsverschuldung wird weiter steigen. Die Regierung hat ihren Reformplan 2006 zur „Wiederbelebung der Wirtschaft“ in einen „Plan für den Wiederaufbau“ umgewandelt.

Wenigstens die Beiruter Börse hat sich nach dem Waffenstillstand erholt. Unmittelbar nach Kriegsbeginn war sie für mehr als zwei Wochen geschlossen geblieben. Ende Juli wurde sie jedoch wieder eröffnet. Die Aktien fielen um 5 Prozent – insbesondere die der Firma Solidere, bei der das Hariri-Imperium die Aktienmehrheit besitzt. Ihm gehört das gesamte Beiruter Stadtzentrum. Nun haben sich die Verluste in zwei Tagen wieder ausgeglichen. Die Hoffnung ist im Libanon, auch nach 15 Jahren Bürgerkrieg und der dritten israelischen Invasion, einfach nicht totzukriegen.