Der Nachwuchs im Zoo sichert die Arterhaltung

Im Münsteraner Allwetterzoo ist das neu geborene Gorilla-Baby ein Publikumsmagnet. Seit 25 Jahren hat man dort auf Nachwuchs gewartet.Weil viele bedrohte Tierarten in freier Wildbahn kaum noch Überlebenschancen haben, ist ihre Nachzucht in Zoos umso wichtiger geworden

Eine Menschentraube steht vor der Glasscheibe und staunt: „Och, wie süüüß!“ Obwohl schon einige Wochen auf der Welt, ist das Gorillababy im Allwetterzoo in Münster die Attraktion für jung und alt. Alle schauen wie gebannt auf ein kleines wollknäuelartiges Wesen, das eine der Gorillafrauen an ihren Bauch gepresst hält. Selbst gruftig aussehende Jugendliche benehmen sich plötzlich wie Großmütter, die sich über einen Kinderwagen beugen. „Tutitutituu“, ruft eine reichlich mit Piercings versehene junge Frau.

Eigentlich ist die Geburt eines Gorillababys im Zoo keine Sensation mehr. Allein im Jahr 2003 wurden in Europa 16 Jungtiere geboren. Etwa 400 westliche Flachlandgorillas leben in europäischen Zoos, 29 davon in NRW, in Duisburg, Köln, Krefeld, Wuppertal und in Münster. Als sich vor etwa acht Monaten ein handelsüblicher Schwangerschaftstest im Allwetterzoo entsprechend verfärbte, waren die Zooangestellten, vom Pfleger bis zum Direktor, trotzdem völlig begeistert. Über 25 Jahre hatte man im Münsteraner Allwetterzoo – bekannt aus der WDR-Dokusoap „Pinguin, Löwe & Co“ – auf Nachwuchs bei den Flachlandgorillas gewartet.

Die Geburt, so berichtet die zuständige Tierärztin und zoologische Leiterin Sandra Silinski, verlief in vertrauter Umgebung völlig unkompliziert. Nicht nur der Vater N‘Kwango, auch die beiden mit in der häuslichen Gemeinschaft lebenden Gorillaweibchen Ghana und Fatima waren bei der Geburt anwesend und durften bereits nach wenigen Stunden das Neugeborene vorsichtig berühren. Der Mutter Changa-Maidi und ihrem Baby gehe es sehr gut.

Ob Gorillas und besonders Gorillababys unter dem Eingesperrtsein im Zoo leiden? Tierärztin Silinski verneint. Das Gorillababy sei Bestandteil einer funktionierenden und harmonischen Gruppe. Die Mutter habe von der ersten Minute an ihr Kind angenommen und kümmere sich intensiv um das Kleine. Tatsächlich sind beide – soweit man das als Zuschauer beurteilen kann – in ständigem Hautkontakt. Allerdings hängt heute der Haussegen im Gorillahaus wohl etwas schief. Sobald der Vater zu Mutter und Kind kommt, wendet sich Changa-Maidi ab. Ansonsten, so versichert die Tierärztin, erlaube die Mutter den Kontakt zu den anderen Artgenossen. Sogar die Rotscheitelmangaben dürfen sich den Nachwuchs aus der Nähe ansehen. Mit diesen kleineren, den Pavianen verwandten Menschenaffen teilen sich die Gorillas das Areal – was im Gehege für Leben und Abwechslung sorgt.

Überhaupt die Umgebung: Gorillas brauchen viel Platz, um sich eine funktionierende soziale Struktur zu schaffen und ihren Nachwuchs großziehen zu können. Sie brauchen aber auch Platz, um sich zurück zu ziehen. Im Münsteraner Allwetterzoo stehen der Gorilla-Gruppe ein Innengehege, ein Wintergarten sowie eine weitläufige Außenanlage mit natürlichem Bewuchs, Hügeln und Höhlen zur Verfügung. „Deshalb gehen wir davon aus, dass das Tier gesund aufwächst,“ sagt Silinski.

Auch Stefan Ziegler, Artenschutzexperte beim World Wide Fund for Nature (WWF), bescheinigt dem Münsteraner Zoo, alles Erdenkliche für das Wohl seiner Gorillas zu unternehmen. Vor 30 bis 40 Jahren habe man noch viele Menschenaffen in Tierparks beobachten können, die erkennbar unter Hospitalismus litten. Monotone, sich ständig wiederholende Bewegungen zeugten von psychischen Störungen. Damals aber waren die Käfige klein, erzählt Ziegler. Auch um das Miteinander habe man sich nicht gekümmert.

Dabei sind Menschenaffen sehr soziale Wesen und auf Kontakt untereinander angewiesen. Dies wird wohl auch der Grund sein, warum es mit dem westfälischen Nachwuchs lange Zeit nicht geklappt hat. Die Chemie zwischen den Affen hat nicht gestimmt, erzählt die zoologische Leiterin Silinski. In Münster habe es einen alten Patriarchen gegeben, der ein echter Miesepeter war. Erst seit wenigen Jahren sei das Familienoberhaupt ein vergleichsweise junges Männchen, und schon hätten sich alle lieb. Das Ergebnis dieser Zuneigung ist am 19. Juli zur Welt gekommen.

Die Gorillas in Münster gehören zum Europäischen Erhaltungszuchtprogramm. Seit 1985 wird europaweit der Nachwuchs von bedrohten Spezies in den Zoos organisiert. Tiere werden innerhalb der Zoos so getauscht, damit eine möglichst große genetische Vielfalt erhalten bleibt. Inzucht soll vermieden werden. Das Fangen von Menschenaffen, die in der freien Wildbahn leben, konnte so vor 30 Jahren beendet werden – fast alle, die heute in europäischen Tiergärten leben, sind auf diesem Kontinent geboren worden. Eine Wiederansiedlung der vom Aussterben bedrohten westlichen Flachlandgorillas komme allerdings in absehbarer Zeit nicht in Frage, sagt Silinski. Solange der natürliche Lebensraum so stark gefährdet sei, mache das keinen Sinn. Durch Urwaldrodung, Wilderei und Seuchen wie das Ebola-Virus, sei das Leben der Gorillas in Afrika sehr gefährlich geworden. Von den westlichen Flachlandgorillas, die in Kamerun, Gabun, Zentralafrikanische Republik und Kongo leben, gebe es nur noch etwa 110.000 Exemplare.

Wenn also eine Wiederansiedlung keinen Sinn mache, warum dann das aufwändige Erhaltungsprogramm? Stefan Ziegler vom WWF weist auf die umweltpädagogische Bedeutung der Gorillas in Europa hin. Wer ein Gorillababy aus der Nähe gesehen habe, entwickele auch mehr Sensibilität bezüglich der Umweltprobleme in Afrika. „Haben Sie Tropenholzmöbel zu Hause?“, fragt auch Silinski die Zoobesucher ganz direkt. Neben dem Affenhaus in Münster stehen ausführliche Infotafeln, die über den Überlebenskampf der Gorillas in Afrika informieren. Die allerdings werden von der begeisterten Menschenmenge vor der Glasscheibe kaum wahrgenommen. LUTZ DEBUS