Begnadeter Schulterzucker

SINGER/SONGWRITER Früher war er bei Fink, jetzt ist er allein: Der Solist Nils Koppruch schafft wundervolle Lieder, die den Sommer feiern und den Herbst umarmen

So lakonisch sind die Lieder von Koppruch, dass ihre Großartigkeit leider allzu oft übersehen wird

VON THOMAS WINKLER

Im Oktober wird Nils Koppruch 44 Jahre alt. Bis heute hat er den schönen Beruf des Kochs erlernt, hat eine der großartigsten und doch unterschätztesten Bands dieses Landes gegründet und wieder aufgelöst. Er hat eine Galerie eröffnet und wieder zugeschlossen. Hat Songs geschrieben und gesungen, eine Menge Bilder gemalt und ziemlich viele davon für ziemlich wenig Geld verkauft. Er hat noch mehr Songs geschrieben und nun leider den Sommer fast verpasst.

Das ist schade. Denn „Kirschen (Wenn der Sommer kommt)“, die Single zu Koppruchs neuem Album „Caruso“, heißt nicht nur so, sondern wäre mit ihrem lässig-faulen Rhythmus, einer verführerisch lauen Hawaiigitarre und der berückenden Melodie, in der der Sänger die Macht des Verliebens zur Sommerzeit feiert, ebendas: ein Sommerhit. Oder hätte doch einer werden können, wenn der Sommer erstens sich nicht schon wieder verabschiedet hätte und zweitens Koppruchs Songs überhaupt das Zeug zum Hit hätten.

Das aber haben sie wohl nicht. Denn spätestens seit 1997, als Fink ihre erstes von sechs Alben veröffentlichten, wird Koppruch, der für die Hamburger Band die Songs schrieb und sang, mit Lob überschüttet und zugleich von einem Massenpublikum ignoriert. Die Süddeutsche Zeitung fand, „man kann Fink gar nicht gut genug finden“, und der Spiegel ließ den Schriftsteller Frank Goosen eine Eloge auf den Texter Koppruch schreiben und ihn „irritierende, rätselhafte Doppel- und Mehrdeutigkeiten“ diagnostizieren.

Koppruch aber blieb trotz des flächendeckenden Lobes aus Kritikermunde immer dazu verdammt, eine dieser typischen Patchwork-Existenzen zu führen: Neben der Musik begann er unter dem Künstlernamen SAM zu malen, hielt sich aber fern vom regulären Kunstbetrieb, eröffnete in St. Pauli eine eigene kleine Galerie namens NEU und malte so schnell und verkaufte so billig, dass ihm das Label „Cheap Art“ angehängt wurde.

Tatsächlich funktionieren Koppruchs Bilder ähnlich wie seine Songs. Sie scheinen zuerst leicht durchschaubar und eingängig, aber öffnen dann einen zweiten Blick ins Dunkle der menschlichen Existenz, entdecken hinter der Schönheit des Augenblicks die Ewigkeit der Verzweiflung. Was seine Kunst und seine Lieder aber vor allem auszeichnet, ist das, was die FAZ dazu bewegte, ihn zum „begnadeten Schulterzucker“ zu küren. Gerade die Lakonie seiner Songs wäre es, die dazu führte, dass ihre Großartigkeit gemeinhin übersehen würde.

Von dieser Sorte Lieder, so lapidar wie melancholisch, finden sich auch auf „Caruso“, Koppruchs zweitem Soloalbum, seit er vor vier Jahren das Ende von Fink verkündete, wieder einige. „Armer Junge weint, armes Mädchen auch“ ist so eines, wie es Fink-Fans lieben werden. Gemütlich schlürft der Rhythmus irgendwo zwischen Folk und Country, und aus einem leicht verhallten Trauerraum heraus singt Koppruch von den Scherben, wie sie herumliegen am Ende einer Beziehung: „Traurig ist es auf der Welt, es müsste anders sein.“ Oder ein anderes Stück, „Wissen musst du es doch“, in dem zu einem verhuschten Fingerpicking der Protagonist des Songs daran verzweifelt, dass seine im Abschiedsbrief hinterlegten Worte doch nur „im Nichts und für immer“ verschwinden. Und mit „Vergessen, was ich wusste“ beweist Koppruch, dass kaum jemand sonst hierzulande so eindringlich und zugleich vollkommen klischeefrei und unaufgeregt von Einsamkeit erzählen kann, davon, wie es ist, sich plötzlich zu fühlen, als hätte man nie gelebt, keinerlei Spuren hinterlassen.

Doch auf „Caruso“ gewinnt nicht immer die Melancholie die Oberhand. Dem geradezu unverschämt optimistischen „Kirschen“, das Koppruch als Single wie ein Signal in die Welt hinausschickt, hat er noch Songs wie das knuffige „Verrückte Liebe“ oder das knurrige „Weil’s möglich ist“ zur Seite gestellt, als wollte er beweisen, dass er auch anders kann. Aber wenn man ehrlich ist, muss man feststellen: Am besten ist der stets unausgeschlafen wirkende Koppruch halt dann doch, wenn seine Songs so klingen, wie er aussieht, nämlich unrasiert und strubbelig, ein bisschen verknittert und angegammelt, wie eben aus dem Bett geklettert, wie jemand, dem sehr wichtig ist, dass er so aussieht, als wäre es ihm gar nicht wichtig, wie er aussieht.

Dieses systematische Understatement führt wahrscheinlich notgedrungen zu dieser Stimmung, die auch im schönsten Sommer schon dessen Ende wittert. Die Zeilen hervorbringt wie diese: „Der Vogel singt nur so lange, wie du nach ihm greifst“. Dies stammt aus „Die Aussicht“, und das ist eines dieser Lieder, wie sie nur Nils Koppruch schreibt und singt in diesem Land. Ein Lied, das fröhlich von der Vergeblichkeit des Daseins kündet, das gerade in der Aussichtslosigkeit des Lebens eine prima Aussicht zu finden versteht. Der Sommer also ist vorbei, der Herbst aber, er darf ruhig kommen.

■ Nils Koppruch: „Caruso“ (Grand Hotel van Cleef/Indigo) ■ Tour: 3. 9. Dresden, 8. 9. Mühlheim, 9. 9. Köln, 10. 9. Frankfurt am Main, 11. 9. Reutlingen, 12. 9. München, 13. 9. Erfurt, 14. 9. Leipzig, 15. 9. Berlin, 16. 9. Bremen, 17. 9. Münster, 25. 9. Hamburg