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Archiv-Artikel

Rückkehr zum nationalen Dialog

Die Entwaffnung der Hisbollah stand schon vor dem Krieg auf der Tagesordnung. Doch wer sie erreichen will, muss sich erst mit der Logik im Libanon vertraut machen

Israels einseitiger Rückzug aus dem Libanon im Mai 2000 hatte viele offene Fragen hinterlassenEs geht nicht um die Verdrängung, sondern um die Eingliederung der Hisbollah in die libanesische Armee

Der Krieg im Libanon scheint zu Ende. Auffällig an der Debatte über seine Hintergründe war, dass die komplexe Innenpolitik des Libanons dabei meist außen vor blieb. Übersehen wurde etwa, dass im Libanon schon seit Monaten auf eine Entwaffnung der Hisbollah hingearbeitet wurde. Nach dem Krieg rückt diese Frage nun in den Vordergrund. Staaten, die aktiv in das Geschehen eingreifen wollen, täten gut daran, sich mit der internen Logik im Libanon vertraut zu machen.

Anders als viele Milizen war die Hisbollah nach dem Bürgerkrieg bewusst nicht entwaffnet worden, sondern führte als „nationaler Widerstand“ seit 1991 – im Einvernehmen mit den Regierungen des Libanons – ihren Guerillakrieg zur Befreiung des schiitisch geprägten Südens weiter. Zuspruch erfuhr sie dabei von praktisch allen politischen und konfessionellen Gruppen des Libanons, und diese Geschlossenheit war einer der Gründe, die den Sieg über die israelische Besatzung erst ermöglichten.

Mit Israels einseitigem Rückzug aus dem Libanon im Mai 2000 waren aber noch nicht alle Probleme gelöst: Noch befanden sich Dutzende von Libanesen in israelischen Gefängnissen, noch hielt Israel seine Verzeichnisse über die Minen zurück, die es zu tausenden im Land verteilt hatte, noch verletzte die israelische Luftwaffe permanent den libanesischen Luftraum, und noch hielt Israel mit den Schebaa-Farmen Land besetzt, das der Libanon für sich reklamierte. Der Guerillakampf der Hisbollah wurde nicht nur von libanesischer Seite, sondern auch von Syrien unterstützt, das mit Blick auf die besetzten Golanhöhen keine Entspannung an der libanesisch-israelischen Front wollte.

Einen Erfolg feierte die Hisbollah im Januar 2004, als es ihr gelang, im Austausch gegen drei gefallene israelische Soldaten und einen Reservegeneral einen großen Teil der libanesischen und hunderte von arabischen Gefangenen aus israelischer Haft freizubekommen. Seither warnte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wiederholt, dass man zur Entführung weiterer Soldaten bereit sei, bis die verbliebenen Forderungen erfüllt seien. Entsprechende Versuche, wenn auch erfolglos, hat es seither mehrfach gegeben.

Wusste die Hisbollah im Konflikt mit Israel noch die Mehrheit des Libanons hinter sich, fand sie sich im Zuge der „Zedernrevolution“ der Unabhängigkeitsbewegung im Frühjahr 2005 plötzlich fast allein an der Seite Syriens wieder. Die Probleme für die Hisbollah begannen im September 2004, als die USA und Frankreich mit aller Macht versuchten, den syrischen Einfluss im Libanon zurückzudrängen. Zuvor hatte Syrien gegen massiven innenpolitischen Widerstand im Libanon eine außerordentliche Amtsverlängerung von Staatspräsident Émile Lahoud erzwungen. Auf Druck der USA und Frankreichs verabschiedete der UN-Sicherheitsrat daraufhin im September 2004 die berühmte Resolution 1559, die eine verfassungsgemäße Neuwahl des Präsidenten forderte. Zugleich enthielt sie die Forderung nach Entwaffnung der Hisbollah sowie der verbliebenen Palästinensermilizen. Diese weithin als proisraelisch verstandene Klausel setzte das Land unter starken internationalen Druck.

Noch enger wurde es für die Hisbollah, als der frühere Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Februar 2005 in Beirut ermordet und das Attentat syrischen Kreisen angelastet wurde. Nach mehreren Großdemonstrationen in Beirut kam es zum Abzug der syrischen Armee, die sich bis dahin als Ordnungsmacht im Land etabliert hatte; im Parlament und in der Regierung verschoben sich die Gewichte zugunsten der Syrien-kritischen Kräfte. In der scharfen Debatte um das künftige Verhältnis zum Nachbarland, die durch eine Serie von Anschlägen auf antisyrische Politiker und Intellektuelle angeheizt wurde, stellte sich die Hisbollah auf die Seite von Damaskus und zog dadurch viel Kritik auf sich. Obwohl sie stets betonte, ihre Waffen nicht in inneren Konflikten einsetzen zu wollen, wurde ihre Spaltung in einen politischen und einen militärischen Flügel in Frage gestellt. Gefordert wurde auch, dass sich die Partei dem Führungsanspruch des Staates unterzuordnen habe.

Seit März dieses Jahres fanden sich die wichtigsten Kräfte des Libanons zu einem kontinuierlichen „nationalen Dialog“ zusammen: Ziel des historischen Schritts war die Suche nach einvernehmlichen Lösungen für die Probleme, die das Land seit dem Abzug Syriens entzweiten, darunter auch die Frage einer Entwaffnung der Milizen. Mit Blick auf die Palästinensergruppen wurde man sich schnell einig. Bei der Hisbollah lagen die Dinge komplizierter: Gesucht wurde hier nach einer neuen „nationalen Verteidigungsstrategie“, die dem Land die Kraft und Erfahrung des Widerstands erhalten, aber dem Gewaltmonopol des Staates entsprechen sollte. Die Formel hieß: „Eingliederung der Hisbollah in die libanesische Armee“, und das wurde von der UNO im Grundsatz akzeptiert.

Dieses Projekt war so schnell nicht umzusetzen, denn eine Guerillatruppe unterliegt anderen Gesetzen als eine reguläre Armee. Wie könnten Disziplin und Opferbereitschaft der Hisbollah den staatlichen Streitkräften zugutekommen? Wie ließ sich in einem Land, in dem wiederholt israelische Geheimdienstzellen aufgedeckt wurden, das hohe Maß an Geheimhaltung beibehalten, das die Hisbollah auszeichnet? Und wie sollte vermieden werden, dass ein Konflikt zwischen einer integrierten Hisbollah und Israel das ganze Land in einen Krieg ziehen würde? Um diese Fragen zu beantworten, war für den 25. Juli eine weitere Dialogrunde angesetzt. Dann kam der Krieg.

Dass die Hisbollah zwei Wochen vor dem geplanten Termin zwei israelische Soldaten entführte, kann als Versuch gewertet werden, diesen Dialog zu stören. Eine solche Entführung wäre schon früher geschehen, wäre Israel nicht so auf der Hut gewesen. Dass Israel aber diese Entführung zum Anlass nahm, einen so massiven Krieg vom Zaun zu brechen, wirkte aus libanesischer Sicht wie der Versuch, eine einvernehmliche Lösung zu verhindern und die Hisbollah zu zerschlagen, bevor dies durch die Eingliederung in staatliche Strukturen erschwert worden wäre.

Israels Versuch kann heute als gescheitert betrachtet werden. Der Krieg hat die Effektivität und Notwendigkeit der Hisbollah bestätigt, und sie hat sich erneut als nationale Größe profiliert. Zugleich ist sie dabei, ihren Status als konstruktive Kraft zu untermauern. Ohne Zustimmung der Hisbollah wäre der Plan der libanesischen Regierung, der zur jüngsten UNO-Resolution 1701 und zum aktuellen Waffenstillstand geführt hat, nicht möglich gewesen. Hassan Nasrallahs jüngste Ankündigung, die Arbeit der UN-Truppen im Libanon nach Kräften zu unterstützen, zielt auf etwas, das im Libanon weithin Konsens ist: dass eine Entwaffnung der Hisbollah-Milizen nur durch eine politische Übereinkunft möglich sein wird, die den Interessen der Hisbollah wie dem legitimen Sicherheitsbedürfnis des libanesischen Staates gerecht wird.

THOMAS HILDEBRANDT