80ER-JAHRE-MAINSTREAMPOP, 60ER-JAHRE-STEHLAMPEN, 30-ZENTIMETER-ABSÄTZE
: Vor der Kanone der schönen Schwedin

VON RENÉ HAMANN

Das hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt. Nina Persson war in der Stadt, und ich hatte mir schon meine eigene La-Dolce-Vita-Sequenz ausgemalt, mit Nina als meiner eigenen Anita Ekberg und ich als der Reporter, der sie durch das nächtliche Berlin führt, aber dann dachte ich: Nein, ich möchte auch nicht im Februar in einen Brunnen steigen oder einer blonden Schwedin, für die ich nur ein nichts sagender fremdländischer Reporter bin (und deren Ehemann schließlich in ihrer Entourage war), in einen Turm nachsteigen oder sie ablichten, wie sie eine Kanone auf einer Burg umarmt. Nein, ich gehe da einfach ganz cool hin zu diesem Konzert im Neuköllner Heimathafen, und zwar allein, denn meine Wochenendbegleiterinnen haben alle nacheinander abgesagt, wegen Krankheit oder Arbeit oder weil sie anders verplant waren, alle und nacheinander, und meine Freunde sind auf Fernreisen.

Es war dann aber alles ganz anders, wie gesagt. Der diesjährige Februar ist – zumindest vom Wetter her – der schönste, an den ich mich erinnern kann, aber einen Brunnen wie die Fontana di Trevi gibt es in dieser Stadt nicht. Es gibt auch keine Burgtürme mit Kanonen, soweit ich weiß. Und Nina Persson, einstmals schönste Frau der Welt, zumindest auf Fotos und in Videos, getroffen habe ich sie ja nie, ist ganz schön abgemagert (sie hat, wie zu lesen war, eine Krebserkrankung überwunden – der Krebs war während ihrer Schwangerschaft erkannt worden. Mutter und Kind wohlauf). Hat sich in einen schwarz-esoterischen Umhang geworfen, stand auf Stiefeln mit 30-Zentimeter-Absätzen, auf dem Kopf ein schwarzes Krönchen, das aussah wie eine Origami-Krähe.

Ein Honigstrom

Die Musik, die sie inzwischen macht, ist radioorientierter Mainstreampop, der seine Wurzeln in den 80ern hat. Vom traurigen Folk ist Nina also wieder weg. Äußerlich scheint sie sich an PJ Harvey zu orientieren – ihre Stimme aber ist immer noch süß und lieblich, ein Honigstrom, der im zweiten Stück tatsächlich „I’m still burning bridges for fuel“ sang und nicht „food“, wie ich verstehen wollte.

Man könnte also sagen, was ich inzwischen zu viel habe, hat sie eindeutig zu wenig. Gewicht, meine ich. Dem aufgeschlossenen Publikum – darunter erstaunlich viele gleichgeschlechtlich Liebende – war das schnuppe. Sie feierten ihre Nina, auch wenn es statt Cardigans-Stücken nur die eher langweiligen neuen Sachen oder mittelmäßige Coverversionen von Daniel Johnston und Bowie gab.

Ich war dann doch froh, allein da gewesen zu sein. So trank ich zwei Bier und schlenderte während der Musik ein wenig durch die Halle – ausverkauft war das Konzert nicht – oder beobachtete die anderen. Eine Frau zeigte einer anderen Bilder einer Stehlampe. Sie hatte diese Stehlampe fünfmal fotografiert, von nah und fern, erleuchtet und bei Tageslicht. Die Stehlampe sah durchaus gut aus, etwas bieder vielleicht, frühe 60er Jahre. Lampenschirm aus Stoff in einem undefinierbaren Grau-Braun-Ton. Ich fragte mich, wie viel sie dafür hingeblättert hatte.

Am Freitag war ich auch schon im Heimathafen, aber im oberen Stockwerk bei einem Theaterstück. Auch allein, auch unverhofft. Samstag hatte ich mich in die Höhle des Löwen gewagt – Fußballkneipe voller BVB-Fans und HSV-Hasser – und war als Sieger wieder herausgekrochen. Nebenher schrieb ich eine Menge Mails. Auch an die Freunde auf Fernreisen. Darüber, wie das Spiel so gewesen war.

Nach dem Konzert ging ich merkwürdig versöhnt nach Hause. Ich muss Nina Persson gar nicht kennen lernen. Diese perfekten Wangenknochen findet man nämlich auch woanders. Aber ein wenig weniger essen, das könnte ich schon.