: „Ein Leben vor und nach dem K 2“
GIPFELSIEGERIN Erfüllter Lebenstraum: Die Spanierin Edurne Pasabán hat alle vierzehn Achttausender bestiegen
■ Ihre Erfolge: Edurne Pasabán Lizarribar hat am 17. Mai 2010 den Gipfel des Shisha Pangma (8.027 Meter) in Tibet erreicht und damit alle vierzehn Achttausendergipfel der Erde bestiegen. Erst vierzehn Tage zuvor war dies der Südkoreanerin Oh Eun-Sun als erster Frau in der Geschichte des Bergsteigens gelungen.
■ Ihr Leben: Pasabán, am 1. August 1973 in Tolosa im spanischen Baskenland geboren, begann in guter Bergsteigertradition der Basken bereits im Kindesalter, die Berge ihrer Heimat zu erobern. Im Jahr 2001 bestieg Pasabán mit dem Mount Everest ihren ersten Achttausender. Edurne Pasabán hat Ingenieurswesen und Wirtschaftsmanagement studiert. Heute besitzt sie ein eigenes Restaurant im baskischen Zizurkil.
INTERVIEW ANNIKA MÜLLER
taz: Frau Pasabán, Sie sind nach einem doppelten Gipfelsieg an der Annapurna und am Shisha Pangma im April und Mai und nach der Entscheidung der koreanischen Bergsteigervereinigung, Oh Eun-Suns Kangchendzöngas Besteigung nicht anzuerkennen, die erste Frau, die alle 14 Achttausender der Erde bestiegen hat. Wie fühlen Sie sich?
Edurne Pasabán: Ich bin glücklich. Ich habe mir tatsächlich meinen großen Traum erfüllt – einen Traum, für den ich und viele andere viele Jahre gearbeitet haben.
Ihre Gipfelerfolge waren immer wieder vom Tod guter Freunde und Seilpartner überschattet. Wie geht man damit um, jemanden neben sich sterben zu sehen?
Mein Sport hat mir viele Freunde geschenkt, aber er hat mir auch viele Freunde genommen. Ich habe immer gehofft, dass nie direkt neben mir ein geliebter Mensch stirbt. Aber in dem Moment, in dem es passiert, reagiert man völlig nüchtern und versucht, vernünftige Entscheidungen zu treffen, um sein eigenes Leben zu retten.
In Deutschland wird jetzt nach dem Tod von Frederik Ericsson wieder darüber diskutiert, ob es ein Besteigungserfolg rechtfertigt, ein Leben zu opfern und eventuell ein Rettungsteam zu gefährden. Wie stehen Sie dazu?
Ich sage mir immer, diejenigen, die am Berg ums Leben kamen, sind wenigstens bei etwas gestorben, das ihnen Spaß bereitet hat. Sie sind auf eigene Verantwortung gegangen, und es ist theoretisch niemand verpflichtet, ihnen bei einem Unfall zur Seite zu stehen. Eine Rettung auf über 7.000 Meter ist äußerst schwierig, darum muss jeder selbst entscheiden, ob er das Risiko auf sich nimmt. Meist sind es Freunde des Verunglückten oder andere Bergsteiger, die sich aufmachen, um Hilfe zu bringen.
Kurz nachdem Sie die Annapurna verlassen hatten, starb dort Ihr Bekannter Tolo Calafat. Auf den Shisha Pangma sind Sie einer Route gefolgt, die Ihr verstorbener Freund Iñaki Ochoa erstbegangen hatte. An der Annapurna kam auch er ums Leben. Hat Sie dies beeinträchtigt?
Während der Annapurna-Expedition hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, Iñaki an meiner Seite zu haben, und habe gleichzeitig seine Abwesenheit so schmerzhaft gespürt wie selten zuvor. Dann erreichte uns im Basecamp des Shisha Pangma die Nachricht, dass Tolo Calafat in Schwierigkeiten steckte. Es folgten zwei schreckliche Tage und Nächte, an denen wir ununterbrochen am Funkgerät hingen. Uns blieb nichts, als für den Erfolg der Rettungsaktion zu beten.
Hat es Sie enttäuscht, dass die Expedition von Oh Eun-Sun, die ganz in der Nähe war, die Hilfe für Tolo Calafat verweigerte?
Ich war nicht dort, und aus der Ferne lässt sich das Vorgefallene schwer beurteilen.
Am K 2 haben Sie sich zwei Zehen erfroren und sind nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ähnlich erging es Ihnen vergangenen Herbst am Kangchendzönga. Was passiert mit einem, wenn man dem Tod so direkt ins Gesicht sieht?
Es wird in meinem Leben immer ein Vor und ein Nach dem K2 geben. Darum habe ich damals erst einmal zwei Jahre lang ausgesetzt. Ich wollte herausfinden, ob ich wirklich noch überzeugt vom Bergsteigen war oder bereits nur der Erwartung der Öffentlichkeit genügen wollte. Der Druck, der mit dem Projekt der vierzehn Achttausender einherging, hat mir Angst bereitet. Am K 2 habe ich gelernt, dass es im Zweifelsfall besser ist umzukehren. Am Kangchendzönga habe ich trotzdem eine falsche Entscheidung getroffen und musste bezahlen.
Stellt sich nun ein Gefühl der Leere ein? Schließlich hat das Projekt der vierzehn Achttausender Sie über ein Jahrzehnt in Anspruch genommen.
Nein, leer fühle ich mich nicht, ganz im Gegenteil. Mein Leben ist jetzt ausgefüllter als vor zehn Jahren, aber nicht deswegen, weil ich vierzehn Achttausender bestiegen habe, sondern weil ich unglaubliche Freundschaften schließen konnte und über all die Jahre so viel Unterstützung erfahren habe. Gleichzeitig ist eine große Last von mir abgefallen. In den vergangenen Monaten ist mein persönliches Projekt mehr und mehr zu einer Medienschlacht geworden. Das hat einen zusätzlichen Druck erzeugt, mit dem ich in der Tat nicht immer gut zurechtkam. Ich habe diesen Lebensabschnitt nun beendet und fühle mich frei, neue ehrgeizige Projekte zu entwickeln.
Der Bergsteiger Reinhold Messner hat Ihnen nach Ihrem Gipfelsieg Glückwünsche überbracht und Ihre vierzehn Achttausender als unnütz und gerade deshalb so schön bezeichnet. Können Sie sich dieser Auffassung Messners anschließen?
Seine Glückwünsche erhielt ich kurz nach der Ankunft im Basecamp in einem sehr emotionalen Zustand. Er hat meine Gedanken gelesen, denn auch ich habe mich gefragt, welchen Sinn mein Projekt eigentlich gehabt hat. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es keinem Zweck gedient hat, sondern einfach nur die Erfüllung eines Lebenstraums war. Dennoch wünsche ich mir, dass meine Gipfelerfolge anderen Menschen Mut machen, ähnlich ambitionierte Projekte anzugehen. Besonders für Frauen in Männersportarten ist dies noch immer schwierig.
Sie waren immer die einzige Frau im Team. Sind Sie auch zuletzt trotz Ihrer Bekanntheit noch auf Schwierigkeiten im männerdominierten Bergsport gestoßen?
Ja. In dieser absolut maskulinen Welt bin ich zwar inzwischen akzeptiert, aber ich musste immer mehr Einsatz zeigen als meine männlichen Kollegen. Bis heute wird es in der Bergsteigerszene so dargestellt, als hätte ich viele Berge nur aufgrund der Ausdauer meiner Begleiter geschafft. Dabei trage ich dieselbe Menge an Material und nicht zuletzt mich selbst den Berg hinauf.
Sie haben oft betont, es sei Ihnen nie darum gegangen, als erste Frau auf allen 14 Achttausendern zu stehen. Dennoch haben Sie zuletzt Eile an den Tag gelegt und sogar einen Helikopter von Katmandu zum Fuße des Shisha Pangma genommen. Hat es Sie gereizt, Oh Eun-Sun doch noch zu überrunden?
Das Rennen um die vierzehn Achttausender war eine Sache der Medien und nicht der Bergsteigerinnen. Doch ich muss einräumen, dass ich ganz zuletzt an einem Punkt war, an dem ich dachte: Mal sehen, vielleicht schaffe ich es ja doch als Erste. Wobei die Doppelbesteigung in erster Linie logistische Gründe hatte und ich mir davon vor allem eine gute Akklimatisierung für die besonders schwierige Annapurna erhoffte.
Sind Sie enttäuscht, es nicht als Erste geschafft zu haben?
Nein. Ich empfinde weder Neid noch Enttäuschung. Ich bin glücklich über das, was ich erreicht habe.
Haben Sie die vielen Jahre im Himalaja verändert?
Ja, der Himalaja hat mich sehr verändert. Mit jeder Besteigung habe ich unglaublich viel gelernt. Auch über mich selbst. Das Bewusstsein, im Leben das zu tun, was einem wirklich gefällt, verändert die Persönlichkeit.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Tourismus in dieser Region ein?
Nepal und Tibet sind absolut abhängig von den Einnahmen aus dem Tourismus. Aber vor allem die Menschenmassen am Everest und am Cho Oyu nehmen dem Bergsteigen die Romantik. Viele der Himalaja-Touristen haben noch nie im Leben Steigeisen an den Füßen gehabt und wollen ausgerechnet mit dem Everest anfangen. Das ist ein sehr gefährliches Spiel.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Oh, ich habe noch viel im Kopf. Ich möchte zum Beispiel den Mount Everest, meinen ersten Achttausender, noch einmal ohne Sauerstoff besteigen. Was mich auch schon lange beschäftigt, ist der Wunsch, eine Familie zu gründen.