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Archiv-Artikel

Stühle zum Runterladen

KONZEPTE Ein israelischer Designer stellt Pläne für seine Möbel ins Internet

Open Design

Die Wurzel: Open Design fußt auf den Prinzipien von Open Source, das ursprünglich als Alternative zu lizenzierter Software gedacht war. Demnach soll Copyright so angewendet werden, dass der Quelltext oder eben die Idee allgemein zugänglich ist, frei genutzt und weiterentwickelt werden kann.

Das Prinzip: Industriedesigner stellen ihre Entwürfe ins Internet, wo sie jeder nachbauen und verändern kann. Massenprodukte werden so dem Nutzer angepasst. Der teilt seine Version wieder und schafft so ein Gemeingut.

Das Schaufenster: Open Design gibt es unter odc.betahaus.de oder www.thingiverse.com.

VON ANNA WIEDER

Die Sitzfläche des Stuhls ist eine glatte, dünne Metallplatte, die Lehne auch. Rutscht man ein bisschen zur Seite und nach vorn, pikst sich eine spitze Ecke in den Oberschenkel. Ein dutzend solcher Ecken und schmalen Kanten hat der Aluminumstuhl „Hack Chair“ des Designers Ronen Kadushin. Manche genau auf Kleinkindkopfhöhe.

„Das ist der Vorteil von Open Design“, sagt Ronen Kadushin. Er meint natürlich nicht die Ecken. Er meint den Fakt, dass sie jeder schnell beseitigen kann, der sie nicht mag. Kadushin sitzt in seinem kleinen Arbeitszimmer in Berlin-Prenzlauer Berg am Bildschirm, klickt mit dem Cursor auf einer Linie seines Entwurfs und zieht. Schon wird aus einer Spitze ein runder Bogen. Die Schablonen für die Stuhlteile kann man sich von Kadushins Internetseite herunterladen, kostenlos. Wer gern auf einem Kunstobjekt sitzt, baut den Sitz aus Metall nach, wer Kinder hat, aus Holz mit abgerundeten Kanten.

Der 45-jährige Designer Kadushin ist der Kopf einer Kreativbewegung, die es sich zum Vorsatz gemacht hat, ihre Entwürfe der ganzen Welt zugänglich zu machen. „Open Design“ nennt sich das. Kadushin behauptet sogar von sich, Open Design erfunden zu haben.

Bei Software gibt es die Philosophie schon lange. Wenn der Quellcode für ein Programm offen zugänglich ist, jeder ihn optimieren kann, kommt am Ende ein besseres Ergebnis heraus. Firefox, der Internetbrowser, der mittlerweile der Microsoft-Konkurrenz den Rang abläuft, ist ein bekanntes Beispiel. Dahinter steckt der Gedanke, dass man kein Produkt als vollendet betrachten sollte. Auch keine Lampe, kein Regal.

Bei dem Israeli Ronen Kadushin führte eine Notlage zur Auseinandersetzung mit dieser Idee. Als junger Designer in Israel fehlten ihm in seinem Heimatland Produktionsstätten – Möglichkeiten, seine erste Reihe Möbel herzustellen, gab es nur in Europa. Nach langer Suche fand er in Italien endlich einen Produzenten, der bereit war, Stühle herzustellen. Der Vertrag lief über fünf Monate. Nach vier Monaten rief der Italiener an und meinte, ihm sei das Investment zu riskant. „Nachdem ich aufgehört hatte zu weinen, begann ich mich zu fragen: Wie kann es sein, dass irgendein Art Director in Italien über meine Karriere entscheidet?“

Das war im Jahr 2000. Kadushin begann sich mit der Situation von Industriedesignern zu beschäftigen und stellte fest: Die Profession ist in einer Krise. Produktdesigner sind abhängig von großen Konzernen, die ihre Objekte anfertigen. „Nur eines von zwanzig Designs wird auf diesem Weg tatsächlich hergestellt. Und die wenigsten überleben das erste Jahr.“

Im Rahmen seiner Design-Masterarbeit griff Kadushin die aufkommende Open-Source-Idee auf. Menschen sollen ihre Kenntnisse und ihr Wissen mit anderen teilen und so ein neues Projekt schaffen, ein Gemeinschaftsgut. Andere sollen das Entstandene frei nachbauen können – und vielleicht auch selbst wieder zur Weiterentwicklung des Produkts beitragen.

Um die alten Produktionsschritte zu umgehen, müsse Design in Information umgewandelt werden, so Kadushins Schlussfolgerung. Die Lösung für sein Problem fand er in CNC-Maschinen, computergesteuerten Werkzeugen, mit denen auch komplexe Werkstücke schnell hergestellt werden können. Anstatt eigens angefertigter Werkzeuge brauchen die nur eine Datei und schon stanzt oder fräst die Maschine die gewünschte Form. Das macht die Herstellung, auch von kleinen Mengen, viel kostengünstiger.

„Nachdem ich aufgehört hatte zu weinen, begann ich mich zu fragen: Wie kann es sein, dass irgendein Art Director in Italien über meine Karriere entscheidet?“

OPEN-DESIGNER RONEN KADUSHIN

Vor fünf Jahren zog Kadushin nach Berlin, um näher an den kulturellen Zentren zu sein. Dort griffen junge Designer später im Projekt Betahaus seine Ideen auf, gründeten unter dem Titel „Open Design City“ eine Stätte zur Kollaboration. In Werkstätten entwickeln sie gemeinsam Gegenstände. Die Schwelle, einsteigen und mitmachen zu können, soll möglichst niedrig sein. Welche Idee von wem stammt, ist im Endprodukt nicht mehr erkennbar.

Bei Ronen Kadushin ist das anders, er arbeitet lieber allein, lebt von seinem Ruf. Seine Produkte vertreibt er über einen Händler und eine Galerie. Dort kostet ein Stück auch mal über 8.000 Euro. Für das Abgucken bei anderen interessiert Kadushin sich selten, aber er lässt bei sich abgucken – in diese Richtung ist sein Design open.

Privatleute können Entwürfe kostenlos nachbauen, wer Stücke weiterverkaufen will, muss jedoch Vertriebsrechte verhandeln. Eine Garantie dafür, dass keine Firma seine Designs unerlaubt verkauft, hat Kadushin nicht. „Da kann ich nichts machen“, sagt er. „Das passiert doch überall. In China wird gerade der Mercedes Smart kopiert. Was will man dagegen machen? China verklagen? Ihre Copyright-Gesetze?“ Die Leute würden herunterladen – ob mit Erlaubnis oder ohne. Und er lebt auch davon: Je mehr seiner Produkte im Umlauf sind, desto besser wird sein Ruf, desto mehr Leute kennen seine Handschrift. Desto wertvoller wird auch sein Name.

Ronen Kadushin unterrichtet Open Design an Hochschulen. Nach drei oder vier Jahren Studium seien die Studenten von der „Kirche der Massenproduktion“ indoktriniert, sagt er. Er will, dass sie daraus ausbrechen. Denn wer Stabilität wolle, für den sei solch ein Leben nichts.