Der Eisbrecher

Was passiert mit dem Klima, wenn nichts passiert? Auf dem Polarforschungsschiff „Grönland“ gibt es im Rahmen einer Aufklärungsaktion Antworten. Ein Besuch an Bord

AUS WISMAR UND LÜBECKNICK REIMER

Wismar. 1868 erreichte das Polarforschungsschiff „Grönland“ die größte nördliche Breite. 138 Jahre später erreichte das Gefährt Wismar. Nicht zu Forschungszwecken. Der Grund war eine Klimaschutzkampagne. Entwickelt und koordiniert vom Bundesumweltministerium, wurde sie ausgeführt von der Berliner co2online GmbH. „Mit der Klimaschutz-Tour wollen wir aufmerksam machen, dass die Leute aktiv werden müssen“, sagt Steffi Saueracker von co2online.

( Ostseezeitung , Lokalteil Wismar)

Das Segel bläht sich überhaupt nicht. Allenfalls ein leises Ächzen in der Tagelage dann und wann lässt vermuten, dass es vorwärts geht. Muss es aber: Nach zwei Tagen im Alten Holzhafen der Hansestadt Wismar wird das Schiff in Lübeck erwartet. „Fock und Jager-Segel dichter“, ruft Skipper Jens. Die Leute zerren und zerren. Schneller wird das Boot deswegen nicht.

„Grönland“ heißt das Segelschiff, das sich langsam über die Ostsee quält. Der Name ist Programm: 1868 lief die Nordische Jagt (http://www.dsm.de/groenland/de/m5.html) unter Kapitän Carl Klodewey Richtung Spitzbergen aus – als erste deutsche Polar-Expedition. Ziel der „Grönland“ war der Packeisgürtel. Am 15. September 1868 erreichte das knapp 26 Meter lange Boot schließlich die Position 81° 45’ – 81 Grad und 45 Minuten nördliche Breite. Nie war bis dato ein Segelschiff dem Nordpol näher.

Aufgabe der Wissenschaftler war es, den Verlauf des Packeisgürtels zu kartografieren. „Heute ist da natürlich kein Eis mehr“, sagt Susanne Nawrath, die diesmal als Wissenschaftlerin an Bord ist. Normalerweise untersucht sie den Klimawandel per Computer am Potsdamer Institut für Klimaforschung PIK. Dort geht sie Fragen nach wie: Was passiert mit dem Klima, wenn nichts passiert? Was muss passieren, damit dem Klima nichts passiert? Jetzt aber ist sie Teil der Crew, die die Ostsee-Zeitung „Klimaschutz-Botschafter“ nennt.

Ein zäher grüner Algenteppich klebt auf dem Wasser. Normal sei das nun wirklich nicht, findet ein Gast an Bord: „Daran ist der warme Sommer schuld: Die Algen vermehrten sich wie die Pest“, erklärt Manfred Sommer.

Dass er auf der Tour mitfahren darf, ist einem glücklichen Zufall geschuldet. Eigentlich war sein Platz für den Gewinner eines Klima-Preisausschreibens reserviert, die kooperierende Ostsee-Zeitung hatte es jedoch vergessen.

„Zwei Drittel der letzten zehn Sommer sind entweder extrem verregnet oder extrem trocken gewesen,“ sagt Sommer, „die Menschen müssen doch merken, dass da etwas mit unserem Klima nicht stimmt“. Besinnung sei Gesundung. Aber nein: „Die Menschen sind einfach nur krank.“ Die „Grönland“ macht immer noch keine richtige Fahrt.

„Sieht ja aus wie Stukas!“, sagt der Skipper plötzlich. Direkt neben der „Grönland“ fallen zwei kleine Flugzeuge aus den Wolken. Lärmend stürzen sie sich drei Kriegsschiffen entgegen, die luv der „Grönland“ dümpeln. „Die üben hier für Dschibuti“, sagt Wolfgang Köhn, im Bundesumweltministerium für Klimaschutz zuständig. Schwarze Nebelschwaden tanzen vor den Nato-Kriegsschiffen – zwei fahren unter norwegischer, eines unter dänischer Flagge. „Die werden von den Bordgeschützen stammen“, sagt Köhn.

Bab al-Mandab – das Tor der Tränen – so heißt die 27 Kilometer breite Meeresstraße zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean. „Vermutlich stammt der Name noch aus der Eiszeit“, sagt Köhn. Der Meeresspiegel lag damals etliche Meter tiefer als heute. Asien war hier nur ein Rinnsal von Afrika entfernt. „Heute ist die Meerenge eine der Achillesfersen unserer Energieversorgung“, erklärt der Umweltpolitiker. Um europäische Öltanker vor terroristischen Überfällen zu schützen, würden ständig 30 bis 40 Kriegsschiffe der Nato kreuzen; auch deutsche.

Die Segel der „Grönland“ leuchten weiß, darauf steht die Aufschrift CO2, das C ist doppelt rot durchgestrichen – eine Gangway lädt zur Besichtigung des alten Schiffes. Wer es betritt, wird dann mit Heizkosten, Pumpentechnik, Klimaprognosen, Untergangsszenarien konfrontiert. co2online gibt den Leuten den Rest: Das Weltklima ist in Gefahr!

Gerade in der letzten Woche vermeldeten Kollegen der Universität von Texas, dass Grönlands Eisdecke schneller als je zuvor abschmilzt. Während zwischen 1997 und 2003 die Eisfläche jedes Jahr knapp 80 Kubikkilometer verlor, verliert das Eisschild seitdem rund 240 Kubikkilometer jährlich. Schmilzt Grönland – der Welt zweitgrößte Eisfläche – weiter so weg, könnte der Ozeanspiegel um 6,5 Meter ansteigen. Besserung ist nicht in Sicht.

„Wütend“ und „enttäuscht“ ist Wissenschaftlerin Susanne Nawrath. „Wir machen unsere Arbeit ja nicht zum Spaß“, sagt sie. Und obwohl diese Arbeit Politik und Gesellschaft zeigt, dass ganz dringend endlich etwas Grundlegendes passieren müsste, „ignoriert die Politik das Problem“.

„Wir tun das ja hier nicht zu unserem Spaß“, sagt Köhn aus dem Bundesumweltministerium. Ein schönes altes Schiff als Lockvogel für eine dringende Sache. Tatsächlich habe man Synergien genutzt: „Die ‚Grönland‘ muss ohnehin jedes Jahr mehrere Wochen unterwegs sein, um segeltauglich zu bleiben“. Den Steuerzahler kostet das nichts: Die Crew segelt ehrenamtlich, auch Köhn macht das in seiner Freizeit. „Wir haben Initiativen vor Ort an Deck geladen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“, erklärt Köhn. Klimaschutz mal nicht als Bedrohungsszenario, sondern zum Anfassen. Auf einem alten Polarschiff.

Das dümpelt immer noch knapp hinter Wismar vor sich hin. „So wird das nix“, sagt der Skipper mit resigniertem norddeutschen Tremolo. Dann brüllt er: „Segel einholen“. Auch der Gast muss jetzt mit ran. Gerade noch hatte Manfred Sommer heftig mit der Wissenschaftlerin debattiert. „Man darf Wetter und Klima nicht miteinander verwechseln“, sagt Susanne Nawrath. Tatsächlich sei dieser Sommer extrem heiß gewesen – „um durchschnittlich ein Grad wärmer als der bisher wärmste je gemessene seit Beginn der Temperaturaufzeichnung“. Das war ungefähr zu jener Zeit, als die „Grönland“ ins Polareis aufbrach. Die Klimaforscherin doziert, dass ein solcher Sommer nicht direkt etwas mit der Erderwärmung zu tun hat: „Wir Wissenschaftler sagen nur, eine Häufung solcher Wetterextreme kann ein Hinweis auf Klimaveränderungen sein“.

Für den Gast Manfred Sommer ist die Sache dagegen wesentlich eindeutiger: Der Mensch ist krank. „Guck dich doch bloß mal in den Single-Foren des Internets um“, sagt der 38-Jährige: „Da geben Leute ‚shoppen‘ als Hobby an! Ist doch krank: Um ein Loch in der Seele zu stopfen, sagen sich die Leute: Gönn dir was. Medizin, die nur bis zum nächsten Loch vorhält – und dann muss eben wieder geshoppt werden“.

Ein großes Loch in das Budget von co2online hat zum Jahresanfang ausgerechnet das Bundesumweltministerium gerissen. Für die Kampagne „Klima sucht Schutz“ steht nur noch die Hälfte der Mittel zur Verfügung. Fünf Leute mussten gehen, die restlichen arbeiten in Teilzeit. Der fehlende Teil des Geldes – es wird von 600.000 Euro gemunkelt – wurde an die Deutsche Energieagentur überwiesen. Als Gründe dafür kommen augenscheinlich zwei in Betracht: Nach ersten Lesart ist das Ministerium unzufrieden mit der Arbeit von co2online. Nach der zweiten spielen alte Seilschaften eine Rolle. Stephan Kohler, Leiter der Energieagentur, kommt ebenso wie Sigmar Gabriel aus Hannover. Wolfgang Köhn aus dem Bundesumweltministerium will die Umschichtung jedenfalls „vor der Presse“ nicht bewerten.

Für die Fahrt der „Grönland“ ist das aber erst einmal egal. Allenfalls der Diesel kostet Geld, mit dem jetzt das Schiff per Motor gen Lübeck stampft. Während sich die Mannschaft zurücklehnt, bereiten andere die Mission des nächsten Tages vor: Broschüren stapeln, Vorträge proben, Manuskripte ordnen.

Die Lübecker Nachrichten werden knapp berichten:

Die „Grönland“, das einzige Polarforschungsschiff, dass es bis zum 81. Breitengrad schaffte, hat in Lübeck fest gemacht. Derzeit ist die „Grönland“ auf einer Infotour zum Klimaschutz unterwegs.