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Archiv-Artikel

Das Theater der zweisprachigen Monster

Jugendliche aus Reinickendorf und Antony bei Paris spielen aus Anlass der 40-jährigen Städtepartnerschaft die griechische Tragödie „Die Furien“

Finstere Gestalten erheben und senken sich. Plötzlich werden sie von einem Schatten in Bewegung gesetzt. Eine Figur weckt die nächste. Sie sind Furien, Monster aus der griechischen Mythologie. Sie wollen Rache und Zerstörung – zumindest auf der Bühne. Im richtigen Leben sind sie Schüler aus den Klassen sechs bis acht des Romain-Rolland-Gymnasiums in Reinickendorf.

Die Jüngste unter ihnen heißt Alexandra Sinelnikova. Sie krümmt ihren Körper und schleicht auf der Bühne, schnüffelnd. Mit ihren langen roten Haaren wirkt sie viel furchterregender, als die zierliche Gestalt der Zwölfjährigen bei Tageslicht vermuten lassen würde. So wie 16 andere Jugendliche nimmt Alexandra an einem außergewöhnlichen Austauschprojekt teil. Die Idee: Deutsche und französische Jugendliche führen gemeinsam ein zweisprachiges Theaterstück auf. Initiiert wurde der Austausch von der französischen Regisseurin und Theaterpädagogin Corinne Kemeny.

Kemeny kämpft seit Jahren für die Anerkennung von Jugendlichen als ernst zu nehmende Schauspieler. „Im Alter zwischen zwölf und vierzehn haben die Kinder eine ungeheure Energie und eine sehr starke Vorstellungskraft. Sie sind offen und neugierig, sie haben noch keine Komplexe – das unterscheidet sie von Erwachsenen.“ In Antony bei Paris gründete Kemeny 1998 die Kinder-Theatergruppe „Le Feu Follet“ – „Das Irrlicht“. Die Schauspieler besuchen in Paris mehrere Schulen und sind die Austauschpartner der Gymnasiasten aus Reinickendorf.

Kemeny möchte auch in Berlin eine deutsche Theatergruppe mit Jugendlichen gründen – unabhängig von Schulen. Einige der Schüler vom Romain-Rolland-Gymnasium werden im kommenden Jahr die Truppe „Theatropolis“ bilden. Die länderübergreifende Theaterarbeit soll in Zukunft sogar auf Warschau ausgedehnt werden.

Dieses Jahr arbeitet Kemeny zum ersten Mal mit deutschen Jugendlichen zusammen und hat für den binationalen Austausch die Tragödie des Orest von Aischylos gewählt. Die erste Hälfte des Stückes spielen die französischen Schüler auf Französisch, die Deutschen die zweite Hälfte, in der sich deutsche und französische Sätze abwechseln. In dem Stück, das im Trojanischen Krieg angesiedelt ist, geht es in einer Gewaltspirale um religiöse Opfer, Familienmorde und Rache.

„Der griechische Mythos schafft Distanz und ist eine gemeinsame Grundlage der deutschen und französischen Kultur. Gemeinsam Krieg zu „spielen“ verhindere reale Feindschaften, hofft die 37-jährige Regisseurin. Die sind zwischen Frankreich und Deutschland aber schon längst Geschichte: Reinickendorf feiert dieses Jahr seine 40-jährige Städtepartnerschaft mit Paris-Antony. Diesen Anlass hat Kemeny als Ansporn für den Theateraustausch genommen.

Die Reinickendorfer besuchen so genannte europäische Klassen und haben mehrere Fächer auf Französisch. Das Besondere seien aber nicht ihre sprachlichen Fähigkeiten, sondern ihr starker theatralischer Ausdruck, lobt Kemeny die Leistung der deutschen Gruppe. „Die fremde Sprache wirkt bei ihnen wie eine Maske und bringt ganz neue Aspekte ihrer Persönlichkeit ans Licht. Die Kinder schauen sich an, hören sich zu, sind immer überrascht von dem, was ihr Gegenüber sagt. Das macht professionelle Arbeit aus“, sagt die Regisseurin.

Das Theaterprojekt hat Alexandra mehr Sicherheit in der französischen Sprache gebracht. Ihre rote Mähne schwingend, geht die gebürtige Russin nach Hause. In dieser Ecke von Reinickendorf sind die Straßenschilder noch auf Französisch – Überbleibsel der französischen Besatzung. So dürfte sich die Austauschpartnerin von Alexandra sich hier wie zu Hause fühlen. Nadja Dumouchel

Aufführung am Samstag, 26. 8. um 19 Uhr im Fontane-Haus, Wilhelmsruher Damm 142 c. Eintritt kostenlos