: Das Sicherheits-Wünsch-dir-was
VON ASTRID GEISLER UND CHRISTIAN RATH
Seit den fehlgeschlagenen Anschlägen auf zwei Regionalzüge überbieten sich Politiker, Sicherheitsfachleute und Datenschützer mal wieder mit Vorschlägen und Warnungen. Die einen rufen nach mehr Technik und neuen Befugnisse für Ermittler – die anderen warnen vor ebendiesen Schritten. Längst nicht alle Forderungen aus dem großen Wünsch-dir-was haben Chancen, in absehbarer Zeit umgesetzt zu werden. Und nur wenige sind geeignet, die Gefahr von Anschlägen – mit oder ohne Kofferbomben – zu reduzieren. Ein Überblick über die aktuelle Diskussion und die potenzielle Halbwertszeit der Ideen:
Mehr Videoüberwachung!
Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen gibt es schon seit längerem. Dabei hat die Polizei nur sehr wenige Kameras selbst aufgestellt, meist sind es Privatunternehmen, die ihre Geschäftsräume mit Kameras überwachen lassen. Über 150.000 private Kameras filmen so das Alltagshandeln der Bundesbürger. Auch auf tausenden von Bahnhöfen surren bereits Überwachungskameras. Nach einer Straftat kann deren Bilder auch die Polizei nutzen.
Wie schon öfter hat Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Wochenende eine Ausweitung der Videoüberwachung gefordert. Soweit es um die Überwachung auf Bahnhöfen geht, fällt es allerdings in das Hausrecht der Deutschen Bahn AG, zu entscheiden, wie viele Kameras sie aufstellt. Bund oder Länder könnten die Bahn zwar gesetzlich zur Aufstellung von Kameras zwingen, das ist aber bisher nicht in der Diskussion. Auch eine Verschärfung der Landespolizeigesetze, die die polizeiliche Videoüberwachung regeln, ist derzeit nicht geplant. Alle Landesgesetze erlauben schon gegenwärtig das Aufstellen von Kameras an Kriminalitätsschwerpunkten. Die Polizei macht von den gesetzlichen Möglichkeiten bisher aber nur mit rund 100 Kameras bundesweit Gebrauch. Eine Ausweitung wäre also ohne Gesetzesänderungen möglich.
Terroristische Anschläge wie die Kofferbombenattentate können mit Hilfe von Kameras allerdings kaum verhindert werden. Sie helfen lediglich bei der nachträglichen Aufklärung. Die Grenze benennt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: „Eine Totalüberwachung ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.“
Her mit der Antiterrordatei!
In einer zentralen Datenbank sollen Informationen diverser Sicherheitsbehörden über Terrorverdächtige gesammelt werden. Auf den Informationspool sollen Ermittler verschiedener Behörden – darunter BND, Verfassungsschützer, Mitarbeiter von Kriminalämtern und Zollbehörden – jederzeit zugreifen können und sich damit langwierigen Papierkrieg ersparen. Diskutiert werden verschiedene Modelle. Die Minimalversion wäre die „Indexdatei“: Ermittler erführen nur, welche Behörde über einen Verdächtigen Informationen hat. Schäuble will eine aufgestockte Version: Informationsgesuche würden automatisch an jene Behörden weitergeleitet, die Material über den Verdächtigen haben. Die Behörden wären verpflichtet, schleunigst zu reagieren.
Um die Antiterrordatei wurde schon unter Rot-Grün vergeblich gerungen. Nun versichert Schäuble, das Gesetz noch im Herbst durch den Bundestag zu bringen. Auch Kanzlerin Merkel drückte gestern aufs Tempo. Noch ist die Ausgestaltung der Datei aber umstritten. Gerade Unionspolitiker kritisieren das geplante Modell als nicht praxistauglich. Sie wollen, dass Ermittler direkt auf größere Datenmengen zugreifen und mehr Merkmale von Verdächtigen speichern können, zum Beispiel auch deren Religionszugehörigkeit. Der Bundesdatenschutzbeauftragte wiederum warnt vor einer „ausufernden Datei, die Kontakt- und Begleitpersonen erfasst“. Solch ein Modell wäre nach seiner Ansicht „mit Sicherheit mit der Verfassung nicht zu vereinbaren“.
Auch wenn bisher nichts dafür spricht, dass die Kofferbomber dank der Antiterrordatei hätten gestoppt werden können – die zwei Verdächtigen waren den Ermittlern schließlich bisher unbekannt –, würde ein Informationspool zweifellos die Fahndung im föderalen Staat mit seinem Kompetenzwirrwarr in vielen Fällen erleichtern.
Mehr Geheimdienstbefugnisse!
Nach den Anschlägen vom 11. 9. 2001 bekamen die deutschen Geheimdienste neue Befugnisse. So dürfen Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst zum Beispiel bei Telefonanbietern nachfragen, mit wem ein Verdächtiger telefoniert hat. Auch Auskunftsrechte bei Banken, Post und Luftfahrtunternehmen wurden neu eingeführt. Dieses Sicherheitspaket war auf fünf Jahre befristet und soll nun um weitere fünf Jahre verlängert werden. In dem geplanten Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (es heißt tatsächlich so) werden die Befugnisse der Geheimdienste außerdem ergänzt. So sollen die zur Terrorbekämpfung eingeführten Mittel künftig auch gegen nichtterroristische Extremisten benutzt werden können.
Das Gesetz soll noch im Herbst beschlossen werden und zum Jahreswechsel in Kraft treten, weil das alte Gesetz am 31. Dezember ausläuft.
Die neuen Befugnisse wurden, so eine Evaluation des Bundesinnenministeriums, in den ersten Jahren kaum angewandt. Sie dürften für die vorsorgliche Überwachung potenzieller Terroristen auch keine besonders große Bedeutung haben. Es handelt sich eher um symbolische Gesetzgebung. Viel wichtiger dürften für die Geheimdienste weiterhin die Aussagen von V-Leuten und Informationen von ausländischen Partnerdiensten sein.
Mehr Bahnhofspersonal bitte!
Statt nur die Sicherheitstechnik aufzurüsten, solle die Bahn zusätzliches Personal an Bahnhöfen einsetzen. Das fordern linke PolitikerInnen wie die Grünen-Innenexpertin Silke Stokar. Schließlich könne ein Mensch besser als Kameras herrenlose Koffer ausmachen und zudem direkt reagieren. In die gleiche Richtung argumentiert ProBahn. Der Fahrgastverband bemängelt, dass an vielen Bahnhöfen inzwischen überhaupt keine Menschen mehr arbeiten.
Bisher spricht wenig dafür, dass diese Forderungen umgesetzt werden. Zuständig für die Sicherheit an Bahnhöfen und in Zügen ist die Deutsche Bahn gemeinsam mit der Bundespolizei. Und nach Angaben eines Bahnsprechers ist nicht geplant, zusätzliches Sicherheitspersonal einzustellen, sondern, wenn überhaupt, „schwerpunktmäßig“ an einzelnen Stationen mehr Leute einzusetzen. Zudem solle gemeinsam mit der Bundespolizei verstärkt „stichprobenartig“ Gepäck kontrolliert werden. Auch verstärkte Streifengänge seien geplant.
Schon die zugeknöpfte Reaktion der Bahn auf Fragen nach mehr Personal lässt ahnen, dass daran nicht zu denken ist. Realistisch ist nur, dass die vorhandene Sicherheitskräfte verstärkt auf herrenloses Gepäck achten. Alles andere dürfte an Kostenfragen scheitern – zumal die Wiedereröffnung von Schaltern an Provinzbahnhöfen tatsächlich wohl kaum einen Kofferbomber stoppen könnte.
Ein Fall für Rail-Marshalls!
Parallel zum Ruf nach mehr Sicherheitskräften in Bahnhöfen fordern Politiker und Fahrgastverbände nun auch, den Personalabbau in Zügen zu stoppen. Der sogenannte Innenexperte Clemens Binninger (CDU) ruft in der Bild-Zeitung gar nach bewaffneten Zugbegleitern – sogenannten Rail-Marshalls.
Eine Trendwende hin zu mehr Zugpersonal ist allerdings nicht in Sicht. Laut Bahn-Angaben betrifft der Personalabbau vor allem Regionalzüge. Verantwortlich für deren Ausstattung seien in der Regel die Länder – sie verlangten in Ausschreibungen inzwischen häufig Züge ohne Begleitung, um Geld zu sparen. Die Idee der Rail-Marshalls dürfte mit der gestrigen Bild im Altpapier landen. Selbst Kanzlerin Merkel erklärte gestern, sie halte bewaffnete Zugbegleiter nicht für „die richtige Antwort auf die Bedrohung“. Die Bahn wollte den Vorschlag erst gar nicht kommentieren. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), rief die Kollegen der Union auf, „jetzt bitte die Nerven zu behalten“. Schließlich habe bisher kein Terrorist versucht, einen Zug zu entführen.
Was Rail Marshalls gegen Kofferbomber bringen, ist bislang ebenfalls Binningers Geheimnis. Die Sommerlochredaktion des Internetmagazins Helgoländer Vorbote rühmt allerdings, die Forderung werde den „tagesaktuellen Hysteriestandards voll gerecht und lässt das videoüberwachte Bordplumpsklo um Längen hinter sich“.
MITARBEIT: TARIK AHMIA