: Murat Kurnaz kommt frei
Für die Rückkehr des Bremer Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz hat sich Bundeskanzlerin Merkel eingesetzt. Bremens CDU-Innensenator Röwekamp wollte Kurnaz einst die Wiedereinreise verbieten
von Armin Simon
Die türkische Regierung hat gestern Abend die Freilassung des aus Bremen stammenden Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz bestätigt. Er solle „in den nächsten Tagen“ entlassen werden. Seine Freilassung ist eine Folge von Verhandlungen der Bundesregierung. Nach Informationen des Spiegel haben die USA dabei zuletzt sogar ihre ursprüngliche Forderungen nach einer lückenlosen Überwachung von Kurnaz in Deutschland fallengelassen.
Solcher Unterstützung von offizieller Seite konnte sich Kurnaz nicht immer sicher sein. Von einer „Verlängerung von Guantánamo ins deutsche Recht“ sprach etwa Anwalt Bernhard Docke noch im August 2004. Da hatte es sich der Bremer CDU-Innensenator Thomas Röwekamp nicht nehmen lassen, im Regionalfernsehen persönlich anzukündigen, dass Kurnaz keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland mehr erhalten werde. Der 24-Jährige habe die Bundesrepublik im November 2001 verlassen und sich seither nicht mehr hierher begeben, er sei also, in den Worten des Ausländergesetzes, „ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten wieder eingereist“. Und für diesen Fall sieht ebenjenes Gesetz den Verfall der Aufenthaltserlaubnis vor. Handlungsspielraum, unterstrich der Bremer Innensenator, habe er keinen.
Für Kurnaz konnte man damals und noch heute dasselbe annehmen. Der Sohn türkischer Einwanderer, der in Norddeutschland geboren und aufgewachsen ist, wurde in Pakistan als angebliches Mitglied von al-Quaida festgenommen, den USA übergeben und sitzt seit Anfang 2002 als „enemy combattant“ im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba – bis Juni 2004 ohne jeden Kontakt zu einem Anwalt. Schlechte Voraussetzungen also, um in Bremen um die Verlängerung seines Aufenthaltstitels nachzusuchen. „Das Gesetz unterscheidet nicht nach Gründen“, erklärte die Innenbehörde – und bekam Rückendeckung von der Bremer CDU. Kurnaz sei „ein mutmaßlicher Taliban-Kämpfer, der unter Terrorverdacht steht“, deklamierte Innenpolitiker Rolf Herderhorst – obwohl selbst der Generalbundesanwalt keine Hinweise auf Kontakte zu islamistischen Terroristen gefunden hatte. Amnesty International protestierte.
Das Bremer Verwaltungsgericht holte Röwekamp im November 2005 wieder auf den Boden des Rechtsstaats zurück. Kurnaz habe „nicht die Möglichkeit gehabt, den Fristverlängerungsantrag zu stellen, was nach dem Gesetz sein gutes Recht gewesen sei“, beschieden die Richter. Ergo sei seine Aufenthaltserlaubnis auch nicht verfallen. „Es bleibt zu hoffen, dass der Innensenator zur Vernunft zurückkehrt und dem Ansehen Bremens in der Öffentlichkeit durch ein etwaiges Rechtsmittel keinen weiteren Schaden zufügt“, kommentierten Kurnaz’ Anwälte das Urteil. Das Innenressort wies das als „unangemessene Polemik“ zurück – und legte Berufung ein.
Erst das öffentliche Eintreten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Freilassung Kurnaz’ beförderte den Sinneswandel der Behörden. Das Bundesinnenministerium hob die im Mai 2004 verhängte Einreisesperre nach dem Schengener Abkommen auf. Von Kurnaz geht demnach keine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ aus. Und auch der Bremer Innensenator Röwekamp hatte die Lust am Rechtsstreit verloren. Er zog im Januar 2006 die Berufung gegen das Urteil des Bremer Verwaltungsgerichts zurück. Kurnaz kann also kommen.